"Liebe sollte drin sein"

■ Caspar Brötzmann zieht's nach USA - ein Akkordarbeiter, der nie Feierabend macht, über seine neue Platte "Zulu Time", die Stadt, den Lärm und die Malerei

taz: In Berlin haben wir jetzt 19 Uhr. Was ist das umgerechnet in Zulu-Zeit?

Caspar Brötzmann: Zulu-Time – das ist die Greenwich mean time, in der Funkersprache. Auf den Gedanken, die CD so zu nennen, kam ich, als ich mit FM Einheit auf Tour war und jeden Tag im Flugzeug saß – drei Wochen lang. Irgendwann fühlte ich mich verloren in der Zeit und fragte mich, warum die Zeit nicht verlorengeht. Und da war die Idee, einfach so.

Ist die CD ebenso spontan entstanden?

Keinesfalls. Nach einem Konzert fragten Leute vom belgischen Sub-Rosa-Label, ob Page und ich ein gemeinsames Album machen wollen. Es ist Teil der Subsonic- Reihe, wo auch Bill Laswell, Andy Hawkins und Fred Frith dabei sind. Eingespielt haben wir es in drei Tagen, mit drei Stunden Aufnahmezeit am Tag.

„Zulu Time“ klingt wie die Platte, die du schon seit drei Jahren in der Schublade hattest. Doch in dem Moment, als die Möglichkeiten da waren, sie zu realisieren...

Klar, Musik verleitet zu Interpretationen. Doch das ist ganz einfach. Die haben gefragt, wir haben ja gesagt. Zwei Freunde haben sich im Studio getroffen, die Sache direkt gespielt, direkt aufgenommen, das war's – obwohl mir das eigentlich zu hastig war. Wäre es unsere Idee gewesen, hätten wir uns viel mehr Zeit genommen. Darunter leidet die Platte. Aber es hat Spaß gemacht, und diese 40 Minuten Improvisation kommen unverfälscht rüber.

Zu welchem Film würde das Album passen, wenn es ein Soundtrack wäre?

Der muß noch gedreht werden. Hätte ich aber Lust zu, erst den Soundtrack, dann den Film.

Und was für ein Film wäre das?

Ein spannender, auf alle Fälle. Vielseitig, sicherlich auch kriminell und gewalttätig. Aber auch Liebe sollte drin sein, so daß alle entscheidenden Dinge des Lebens darin vorkommen.

Dieser seltsame Text im Booklet...

Zeig mal – von mir ist der nicht, von mir ist nur die Zeichnung auf der Rückseite – obwohl es in Wirklichkeit ein sehr viel größeres Bild ist.

Vor zwei Jahren sagtest du, du wolltest Captain Beefheart treffen, weil der mit der Musik aufgehört habe, um nur noch zu malen...

Ja, den würde ich gerne kennenlernen. Der lebt irgendwo in Amerika in der Wüste. Vor zwei Jahren, da ging es mir nicht so gut. Ich habe sehr darunter gelitten, ständig unterwegs zu sein, und fragte mich: Caspar, was willst du auf der Gitarre noch entdecken? Ich hatte von Musik und allem, was damit zu tun hatte, die Schnauze voll. Damals hätte ich lieber nur noch gemalt. Aber wenn ich ausgeruht bin, wenn die Welten wieder in der Balance sind, dann hält sich das die Waage. Musikalisch habe ich noch einiges vor, aber ich mache mir keine großartigen Gedanken darüber, was kommt. Das wird sich von selbst entwickeln.

Was kam nach dieser Zeit?

Wir haben „Home“ aufgenommen – und viel gespielt. 220 Konzerte, und die Plattenfirmen kommen dann und sagen: Kerl, arbeite an deiner Karriere! Ich sage: Schafft mir ein Double. Zerreißen kann ich mich nicht. Du spielst und spielst, da kann man nebenher nicht noch eine Platte machen. Aber inzwischen haben wir die John-Peel-Session gemacht. Die wollten das unbedingt rausbringen, doch das, was da an Ideen entstanden ist, möchte ich für die neue Massaker-Platte aufbewahren, die noch in diesem Jahr kommt.

Stimmt es, daß du jetzt groß in Amerika bist?

Also, ich war da oft und meistens sehr gerne. Ich werde die Band wohl dorthin verlagern und unternehme im Moment die ersten Schritte. Berlin wird nicht mehr mein Standbein sein. Ich bin jetzt seit 14 Jahren hier, und in meinen Schädel geht nicht mehr rein. Mir fällt der Himmel über Berlin auf den Kopf, wie bei Asterix und Obelix. Ich brauche wieder mehr Leute mit Biß, Entdeckergeist und Spaß am Leben und werde noch dieses Jahr nach Amerika gehen.

Hier gibt's nichts Neues mehr?

Ja, ich langweile mich, etwas Lähmendes schleicht sich ein.

Und was ist mit der Love Parade?

Die habe ich am Fernseher verfolgt und war froh, daß ich nicht da war. Zu viele Menschen, zu heavy, diese Enge. Nicht mein Ding.

Auch nicht die Vibrations?

Ob die großartiger sind als alles andere? Das ist nicht neu, und Blockaden im Schädel lassen sich durchaus anders lösen. Ich würde das nicht auf eine höhere Ebene stellen als das ganz normale Leben.

Im Noise-Bereich gehen zur Zeit viele Bands strategische Allianzen mit der Techno-Szene ein. Wird es jemals einen Atari Brötzmann Riot geben?

Warum nicht? Wenn man Rhythmen findet, die eine gewisse Wärme und eine Tiefe haben, kann ich mir meine Gitarre gut dazu vorstellen. Aber mir sind die Menschen, denen ich dabei zusehen kann, wie Musik entsteht, lieber. Das wird sich nicht ändern. Ich beherrsche diese Maschinen nicht, ich kann noch nicht mal Schreibmaschine schreiben. Natürlich haben viele Leute solche Ideen. Und die sind auch interessant. Aber dann bitte konsequent: Sample alles, bau irgendwas Neues. Da sollte kein Firlefanz daraus werden.

Vielleicht reflektiert deine Musik eben mehr das Berlin der 80er Jahre. Weltschmerzende Stadtschluchten einer Insel...

Moment, ich habe mit 13, 14 angefangen mit der Musik und seitdem in Höhlen gelebt. Nachts im Übungsraum, tagsüber geschlafen und dann die Konzerte. Der Ursprung der Musik waren die dunklen Orte. Kann sein, daß man das hört. Ich mag Großstädte generell, und daher kommen die Bilder, die man beim Hören sieht. Ziemlich logisch eigentlich, denn alles, was ich tue, ist unmittelbar mit meinem Leben verbunden. Ich stelle die Gitarre nicht abends in den Spind und lege mich ins Bett. Das ist mein Leben.

Macht Caspar Brötzmann wirklich nie Feierabend?

Kaum, ich beschäftige mich 24 Stunden am Tag damit, Ideen festzuhalten – oder ich versuche meinen Kopf wieder freizukriegen und hänge rum. Und ab und zu genieße ich auch die angenehmen Seiten des Lebens.

In deiner Musik ist von den angenehmen Seiten wenig zu spüren.

Mag sein, aber die Welt ist auch nicht angenehm. Und das, was ich sehe, spiegelt sich in der Musik. Wenn ich das Gefühl habe, mich zu wehren, zu kämpfen, und mich damit vor einer Implosion bewahren kann, gehöre ich doch zu denen, die ihre Wut durch Musik ausdrücken können. Heutzutage ist das reiner Luxus.

Was macht dich denn wütend?

Sterben für nichts. Schalt den Fernseher ein, da kannst du nur noch den Kopf schütteln, da ist nichts mehr zu ändern – was mich lange beschäftigt hat. Damals haben wir „Koksofen“ gemacht, und das ist der Abschluß. Jetzt muß es weitergehen. Das Gefühl muß eine andere Rolle bekommen, und ich bin es leid, immer mit dieser Kraft zu spielen. Mir fehlen die Feinheiten. Eine Zeitlang ging das gut, aber es ist noch viel mehr vorhanden.

Funktioniert das Übersetzen von Gefühl auf Gitarre noch?

Bei mir schon.

Nach der „Philosophie des Feedback“ sollte man dich aber besser nicht fragen, oder?

Ist ja auch Schwachsinn. Und sehr theoretisch. Klar benutze ich Feedbacks, aber erstens mache ich einiges mehr als das, und zweitens – was soll das? Wozu diese aufgebauschten Worte, wenn da doch einfach jemand ist, der Musik macht? Ich beschränke mich auf das Wesentliche. Das, was man hören kann.

Was hörst du denn so privat?

Alte Sachen. Alten Ska, irgendwas. Meine Schwester nimmt mir Tapes auf. Foetus sind gut. Sonic Youth finde ich auch ganz prima, die frühen Sachen. Helmet gehen in Ordnung. Aber ich mag sie auch als Kollegen, die für ihre Sache kämpfen. Da ist eine gemeinsame Basis.

Du legst auch großen Wert darauf, daß deine Musik Handarbeit und kein „intellektueller Scheiß“ ist.

Genau so isses.

Aber darüber, daß du Künstler bist, müssen wir uns nicht unterhalten?

Doch. Ich sehe mich als Musiker, nicht als Künstler. Die Kunst kommt erst an zweiter oder dritter Stelle. Wichtiger sind die Musikerkollegen, was auf der Bühne passiert und das konkrete Erlebnis. Ich bin kein Intellektueller. Manchmal träume ich Klänge, Strukturen und Ideen und muß sie dann nur noch umsetzen.

Kommt alles im Schlaf zugeflogen?

Nein, aber ich lebe in meiner Arbeit und bleibe dran. Das hat mit Lebenserfahrung zu tun, und ich kenne das nicht anders.

Ist nicht trotzdem das Verdichten von Welt in Sprache und Klänge eine eher intellektuelle Tätigkeit?

Ich finde so was eher praktisch – und spirituell. Außerdem mag ich dieses Wort nicht, genausowenig wie das Wort „Avantgarde“.

Vielleicht, weil man dich mal als „intellektuellen Avantgarde- Rocker“ bezeichnet hat?

Nö. Aber manche Worte klingen einfach scheiße. Und ich möchte auf keinen Fall in die elitäre Ecke gestellt werden. Ich bin nichts Besseres als der Typ, der an der Betonmischmaschine steht.

Klingt wie klassische Intellektuellen-Rhetorik...

Ich arbeite. Mit meinem Kopf und mit meinen Händen. Nach der abgebrochenen Hauptschule habe ich eine Tischlerlehre gemacht. Und ich verrate dir noch was. Ich habe so lange Gitarre gespielt, weil ich mich nie ausdrücken konnte. Das habe ich inzwischen gelernt, auch durch die harte Interviewschule. Ich nenne das immer Psychologiestunden.

Psychologiestunden?

Ja. Die fragen dich Sachen, da kommst du gar nicht drauf. Interview: Gunnar Lützow