Für eine Rückkehr in Würde

Etwa 2.000 bosnische Kriegsflüchtlinge demonstrierten still gegen eine Zwangsrückführung. 200 sollen schon vor Winterbeginn zurück  ■ Von Jens Rübsam

So viel Zeit muß sein – trotz Demonstration und Protest. Ivana Juavić hält einen kleinen Spiegel in die Luft und ihre Lippen dicht davor. Ein wenig Rot, dann ist es gut. Nein, blickt Ivana auf, sie wolle nicht zurück nach Bosanski Śamac. Berlin sei jetzt ihre Heimatstadt und Steglitz ihr Heimatbezirk. „Ich will hierbleiben“, sagt die 18jährige. Ihre Cousine Andja Petrić (17) nickt. „Hier gefällt mir alles.“ Dijana Bečić (16), die Freundin, kann auch nichts anderes sagen. „Ich will einfach nur hierbleiben.“ Was soll sie auch in Bosnien? Dort leben, wo die Serben sich breitgemacht haben? Wieder nur als Flüchtling gelten? „Die zu Hause werden doch nur sagen: Ihr seid ja damals abgehauen.“

Die drei Mädchen haben sich eingerichtet in ihrer neuen Welt. Ivana geht in Steglitz in die Schule, Andja in Mitte und Dijana in Kreuzberg. Sie leben mit ihren Eltern in „richtigen Wohnungen“ und nicht in Flüchtlingsheimen, wie viele andere bosnische Kriegsflüchtlinge. Sie haben Träume wie alle Mädchen in ihrem Alter. Ivana will Ärztin werden, Andja „irgendwas machen mit behinderten Kindern“, Dijana will zur Kriminalpolizei. Trotzdem: Daß sie zur Demonstration gekommen sind – keine Frage. „Ich kann die Älteren verstehen, daß sie zurück nach Bosnien wollen“, sagt Dijana. „Wäre ich 73, wollte ich das bestimmt auch.“

Gestern mittag: Aufbruchstimmung am Adenauerplatz. Fast 2.000 bosnische Kriegsflüchtlinge formieren sich zu einem stillen Demonstrationszug. Transparente werden ausgerollt. Zu lesen ist da: „Rückkehr in Würde – statt Menschenjagd auf Alte und Kranke“, „Herr Innensenator, Sie versetzen die bosnischen Flüchtlinge in Angst und Panik“ und „Ich werde zum zweiten Mal vertrieben“. Das Gros der bosnischen Kriegsflüchtlinge, sagt Jusuf Bosnjić, der Organisator, wolle zurück. Aber auf menschenwürdige Art und Weise. „Die Zwangsrückführung der Bürger Bosnien-Herzegowinas in die serbische Entität gleicht einer direkten Auslieferung der Bosniaken ans Messer der Kriegsverbrecher, die sich noch, zur Schande der internationalen Gemeinschaft, frei bewegen und die normale Rückkehr in unsere Häuser unmöglich machen“, ruft Bosnjić in das Megaphon. Gemeint sind Radovan Karadžić und General Ratko Mladić. Das Plakat „Wir wollen nach Hause, aber erst wenn Karadžić und Mladić in Den Haag sind“ wird hoch in die Berliner Luft gestreckt.

Der Demonstrationszug trauert durch die Westberliner Innenstadt. Vorbei an der Komödie am Kurfürstendamm (heute auf dem Spielplan: „Jahre später – gleiche Zeit“), an Cafés, Banken und Schmuckgeschäften. Die Berliner hasten auf dem Ku'damm weiter durch ihr Leben. Einer bleibt stehen und sagt: „Wat det wohl wieder kostet? Die janze Polizei und so“, und ein anderer findet: „Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin Christ, aber wir können doch nicht alle Ausländer ewig hier aufnehmen.“ Dörthe Männig aus Mitte ist extra zum Ku'damm gekommen. „Ich bin ein Mensch und nicht herzlos. Das, was mit den Kriegsflüchtlingen gemacht wird, kann doch nicht sein.“ 1945 war sie sieben Jahre alt. „Ich weiß noch, was Krieg, Not und Elend heißt.“

200 der rund 30.000 in Berlin lebenden bosnischen Kriegsflüchtlinge haben bereits die Ausreiseaufforderung erhalten. Sie sollen noch vor Winterbeginn Deutschland verlassen. „So etwas können doch nur die Betonköpfe der CDU wollen“, schüttelt Rita Kantemir, Sprecherin des Flüchtlingsrates der Bündnisgrünen, den Kopf. Tilman Zülch, Vorsitzender der Gesellschaft für bedrohte Völker, spricht von „einer Menschenjagd“, die ihn „an die Deportationen der Nationalsozialisten erinnert“.