„Ich baute auf, ich kehre zusammen“

■ Pünktlich zum 75. Geburtstag wird die Transformatorenfabrik von AEG-TRO geschlossen. Altgediente Arbeiter haben nur geringe Chancen auf einen neuen Job

Seit 36 Jahren verdient Bernd Bach seine Brötchen beim Transformatorenwerk TRO am Spreeufer in Oberschöneweide. „Ich gehöre hier zum Inventar. Wollen Sie die Nummer auf dem Rücken sehen?“ Drei Viertel seiner Lebenszeit ist der Arbeiter täglich in die Fabrikhalle im Süden Berlins gefahren. Die ersten Jahre wickelte er fingerdicke Kupferleitungen zu meterdicken Transformatorspulen. Später leitete er als Vorarbeiter die Herstellung der bis zu vier Meter hohen Ungetüme.

Der 53jährige Bach weiß alles über Trafos, die Hochspannung aus Kraftwerken in Haushalts- und Industriestrom verwandeln. Aber er hat in seinem Leben nur eine Bewerbung geschrieben – die für TRO im Jahr 1960. Die Fähigkeit, sich fremden Arbeitgebern anzupreisen, muß der „Troianer“ jetzt mühsam erlernen. Denn wie alle anderen TRO-Beschäftigten hat man ihm die Kündigung geschickt. Nach 75 Jahren wird das Werk zum 31. Dezember 1996 geschlossen – komplett und endgültig.

Gibt es für Bernd Bach ein Arbeitsleben nach TRO? „Ich habe meine Bekannten in die Spur geschickt“, sagt er. Die sollen sich umhören, ob irgendein Betrieb einen gestandenen Trafobauer braucht. „Vielleicht ist die Erfolgsquote höher als beim Arbeitsamt.“

Das konkreteste Angebot bislang ist jedoch sehr nebulös. Ein Unternehmensberater aus dem Schwarzwald habe Vorarbeiter für ein Trafowerk in Indien gesucht. In welcher Stadt, für welche Zeit und wieviel Geld ist noch nicht bekannt. Bach denkt laut nach: „Zweimal im Jahr könnte ich meine Frau nachholen und wir fliegen auf die Malediven.“ Galgenhumor oder Optimismus? Für eine systematische Jobsuche reicht die Kraft nicht. Der Mann weiß, daß er schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat.

„Als Elektroingenieur kann man keinen Blumentopf mehr gewinnen“, weiß Lutz Epperlein, Vorsitzender des TRO-Betriebsrats. Zehntausende von ArbeiterInnen der Elektrobranche Berlins sind bereits arbeitslos. Einst war Berlin die Elektrohauptstadt Deutschlands, Siemens und AEG wurden hier gegründet. Der Niedergang nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich aber bis in die 80er Jahre hinein fort. Nach 1989 starben dann zusätzlich die alten Elektrokombinate Ostberlins.

Bei AEG-TRO sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache: 1990 arbeiteten fast 4.000 Leute in dem volkseigenen Betrieb. Die von den Sowjets 1945 enteignete AEG übernahm als wiedereingesetzter Besitzer 1991 noch 880 Beschäftigte. Gerade wurden die letzten 350 von ihnen gekündigt.

Damit ist auch Schluß für Hans Maronne. Der 59jährige hat von allen KollegInnen die längste Zeit im Werk hinter sich. 1952 fing er als Lehrling bei TRO an – „das sind 44 und ein halbes Jahr.“ Auch sein Vater arbeitete schon in den Hallen. Maronne weist auf eine leichte Kuhle im Boden. Dort sei nach dem Krieg der schwere Kran von der 22 Meter hohen Decke herabgestürzt, als die Sowjets ihn demontierten.

In Maronnes Regalen am Arbeitsplatz liegen nicht nur Werkzeuge, sondern auch Fotos, darunter eines von 1958. „Da ist Manne Busch. Er ist längst in Rente.“ Maronne kann sich an jeden Kollegen erinnern. Das treibt ihm fast die Tränen in die Augen, krachend schmeißt er die Zange in seinen Werkzeugkasten. Vor ihm liegen ein Jahr Arbeitslosigkeit und dann ab 60 die Rente.

Der bevorstehende Exitus von TRO läßt sich ablesen am Schwarzen Brett in der Werkhalle. Während der Aufruf der Werkleitung, „Zukunft durch Qualitätsarbeit“ zu sichern, noch aus besseren Tagen stammt, hat der Briefkasten für die Verbesserungsvorschläge daneben schon Staub angesetzt. Ein Infoblatt kündigt die Versteigerung von Werkzeugen an die Beschäftigten an, Zeitarbeitsfirmen werben mit ihren Diensten. Ein weiterer kleiner Hoffnungsschimmer leuchtet aus dem Katalog der Qualifizierungsgesellschaft „ABS- Brücke“, die den ehemaligen „Trojanern“ auf Kosten des Arbeitsamtes in den kommenden Monaten Umschulungen anbietet. Einige der alten Kollegen hätten bereits als Bauarbeiter im Trockenausbau von Häusern und als Hauselektriker eine neue Anstellung gefunden, sagt Betriebsratsvorsitzender Lutz Epperlein. TRO-Geschäftsführer Helmut Maier dämpft die Erwartungen. Für alle, die im Winter ihre letzte Schicht ableisten, werde die Zeit danach „sehr, sehr schwierig“.

Mehr Chancen als die Arbeiter der Produktion haben diejenigen, die sich auf dem weiten Feld der Dienstleistungen umtun können. TRO-Sicherheitsingenieur Harald Hürdler hofft, sich bald als Spezialist für Arbeits- und Umweltschutz selbständig machen und mittelständische Unternehmen beraten zu können. Gegenwärtig macht Hürdler einen unfreiwilligen Crashkurs in Sachen Abfallbeseitigung. Er ist dafür zuständig, Altöl, Chemikalien und andere Rückstände der Produktion zu beseitigen und die Hallen besenrein zu machen. „Das ist schon makaber“, schüttelt Hürdler den Kopf, „ich habe das hier alles aufgebaut. Jetzt baue ich es wieder ab.“ Früher war der Ingenieur für die mechanische Ausstattung der Werkhallen verantwortlich, machte sich Gedanken über neue Maschinen und Installationen.

Im Büro des Betriebsrates Epperlein hängt das Kündigungsschreiben unter Glas an der Wand. „Der Frust ist mittlerweile vorbei, den hatte ich im Sommer“, sagt der 35jährige. Vor kurzem hat er die letzten Arbeiten im Werk erledigt und bereitete vor, daß sämtliche Betriebsratsinfos ins weltweite Computernetzwerk Internet eingespeist werden. Jetzt bringt Epperlein seine Computerkenntnisse bei einem Fortbildungsträger in Moabit auf den aktuellen Stand. Danach will er als selbständiger EDV-Spezialist arbeiten.

TRO-Geschäftsführer Helmut Maier weiß, daß er „natürlich bessere Chancen“ hat als die meisten seiner Untergebenen. „Wenn ich will, kriege ich was“, ist er sicher. Zur Zeit beschäftige er sich aber nicht damit, was nächstes Jahr kommt. „Das ist psychologisch besser“, sagt der Abwickler, „die anderen Leute haben ja auch nichts.“ Hannes Koch