„Der Raum zum Sein“

Am Institut für Gesundheitsmedizin werden Interessierte in alternativen Heilverfahren fortgebildet  ■ Von Judith Hermann

Der zentrale Raum des Instituts für Gesundheitsmedizin ist groß und hell. Aus sechs hohen Fenstern geht der Blick durch herbstlich gefärbte Bäume über die Dächer Berlins. Die Seitenwände laufen in einem Bogen sanft aufeinander zu, und der Holzfußboden reflektiert das Tageslicht. Es ist absolut still.

Für Rainer Nitzsche, Yoga- Lehrer und Geschäftsführer des Instituts, vermittelt dieser Raum ein „angenehmes Gefühl für Maß und Proportion, für die Balance zwischen Alltag und Ruhe“ – er ist ein „Raum zum Sein“. Hier finden Kurse für Meditation, Yoga, Tai Chi und Qi-Gong statt. Es werden Feldenkrais, Bewegung und Wahrnehmung gelehrt, Seminare für Wirbelsäulengymnastik, Körperarbeit und Autogenes Training veranstaltet. Der Raum ist das Herzstück des Instituts, das vor einem Monat gegründet worden ist und sich kurz und in Anlehnung an den alten Arztbegriff des „Heilers“ Medicus nennt.

Initiator ist die Ärztekammer Berlin, die sich mit Achim Wannickes Kinderakademie Sterntaler und Rainer Nitzsches Yogaschule zusammengeschlossen hat. Erfahrungen, Kompetenzen und Fähigkeiten sollen hier vereinigt werden, um „gemeinsam am Weg der Gesundheitsförderung und der ganzheitlichen Medizin“ festzuhalten. Seit der Streichung der Präventionsangebote der Krankenkassen, die im September 1996 vom Bundestag verabschiedet wurde, stehen die Chancen für diesen Weg schlecht. Ab Januar 1997 werden kaum noch Kurse im Bereich der Gesundheitsförderung von den Krankenkassen angeboten. Die Versicherten müssen Yoga, Feldenkrais und Wirbelsäulengymnastik in Zukunft größtenteils selbst bezahlen. Voraussichtlich werden nur noch fünf Prozent der bisher von den Kassen angebotenen Kurse übrigbleiben. Der Erziehungswissenschaftler Achim Wannicke hält das für politisch fahrlässig: „Es kann nicht sein, daß es die Gesundheitsförderung nur noch für einen elitären Kreis geben soll, der sich die 240 Mark für einen Kurs leichten Herzens leisten kann. Die Gesundheitsförderung muß allen sozialen Schichten offen stehen, aber das Bundestagsgesetz bewirkt eine soziale Trennung.“

Das Institut Medicus stellt sich bewußt in den politischen Gegenwind. Es veranstaltet Kurse, Lehrgänge und Vorträge. Diskussionsforen sollen Kontaktort werden für alle, die die klassische Schulmedizin mit der modernen und traditionellen Gesundheitsmedizin aus verschiedenen Kulturkreisen miteinander verbinden wollen: „Im alten China“, erzählt Rainer Nitzsche „wurde der Arzt solange bezahlt, wie der Patient gesund war. Wurde der Patient krank, bekam der Arzt kein Geld mehr, weil er keine gute Arbeit geleistet hatte. Diesen Denkansatz müssen wir in unserer Gesundheitspolitik neu verankern.“

Für die Zukunft werden Sponsoren aus Industrie und Wirtschaft gesucht, die im Bereich der Gesundheitsvorsorge sinnvoll investieren wollen. Sozial Schwächeren soll über diese Gelder die Möglichkeit geboten werden, „umsonst“ oder für einen geringen Beitrag an Kursen teilzunehmen. Durch ein breites Fortbildungsangebot sollen Ärzte in die Lage gebracht werden, ihre Patienten umfassender informieren zu können.

Für Rainer Nitzsche ist es einleuchtender, einen gesunden Menschen darin zu unterstützen, gesund zu bleiben, und auf diese Weise den Haushalt der Krankenkassen zu entlasten: „Es ist viel kostengünstiger, jemandem einen Yogakurs oder einen Feldenkrais- Workshop zu verschreiben, als Bandscheibenschäden oder Rückenleiden über Jahre hinweg mit Medikamenten und Spritzen zu behandeln.“

Auch die Kinderakademie Sterntaler sieht sich vor die Aufgabe gestellt, ein Gesellschafts- und Gesundheitsbild zu verändern. „Der Arzt sollte den Menschen darin schulen, gesund zu bleiben, er sollte den gesunden Anteil stärken und so Einfluß auf eventuelle Krankheiten nehmen.“ Die Kinderakademie existiert seit 1989 und ist in dieser Form in Deutschland einzigartig. Gemeinsam mit der AOK Berlin hat Achim Wannicke ein Trainingsprogramm für Kinder entwickelt, das „Spielraum für Träume“ schafft und „Hilfe bei Schulstreß und Überforderung“ verspricht. Entspannung, Stärkung des Selbstvertrauens, Körpererleben und Bewegung sollen die Grundlagen der kindlichen Gesundheit stärken. In den Kursen arbeiten etwa 50 Trainer, und über 5.000 Kinder haben bislang am Trainingsprogramm Strentaler teilgenommen. 40.000 Psychopharmakaverschreibungen gab es dennoch allein im letzten Jahr für Kinder im Alter von sechs bis zwölf Jahren. Für Achim Wannicke ist dies Horrormeldung und Symbol zugleich: „Unsere marode Gesellschaftsstruktur trägt das Bewußtsein der Kinder nicht mehr ins nächste Jahrtausend hinein. Wem es schlecht geht, der bekommt eine Lächelpille in den Mund gesteckt. Die Spätfolgen dieser Maßnahmen sind nicht abzusehen, unsere Erziehung ist schon lange nicht mehr zeitgemäß.“

Rainer Nitzsche und Achim Wannicke sehen die Chancen für eine Veränderung im Gemeinsamen von Medicus – und in der Hoffnung auf eine politische Einsicht. Ärzte, Erzieher, Eltern und Therapeuten werden im Institut gemeinsam an gesundheitsfördernden Konzepten arbeiten. Die Größe und auch die Schwierigkeit dieser Aufgabe ist dem Institut bewußt. Rainer Nitzsche aber vertraut optimistisch auf den „guten Sensor der Bevölkerung“ und für Achim Wannicke kann „das Verzagen vor der Größe der Verantwortung keine Antwort sein“.

Institut für Gesundheitsmedizin Medicus

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