Schönheitsideale ruinieren

■ Wolf Wagner über den "Bodyismus", die Überbetonung des Körperlichen. Der moderne Körperkult hat fatale Folgen, weil er den Unterschied von Körper, Geist und Seele negiert

taz: Was ist Bodyismus?

Wolf Wagner: Heute herrscht der Glaube vor, den gesamten Menschen über seinen Körper erkennen zu können. Die Unterscheidung zwischen Seele, Geist und Körper wird meist vergessen. Aber es gibt durchaus Unterschiede zwischen Seele, Geist und Körper. Nehmen wir zum Beispiel den Physiker Stephen Hawkins: Er hat einen brillanten Geist, aber sein Körper macht das nicht mehr mit. In unserer Gesellschaft ist es nun aber so, daß viele denken, daß man dem Körper ansieht, was für ein Geist in ihm steckt. Darunter leiden insbesondere Behinderte, zum Beispiel spastisch Gelähmte. Sie sind in der Regel genauso fit wie alle anderen auch, aber durch ihre Sprachbehinderungen und Gehstörungen werden sie so behandelt, als wenn sie debil wären, und damit haben sie sehr zu kämpfen. Da ist der Bodyismus sehr offensichtlich. Eigentlich ist er aber vor allem eine Alltagserscheinung. Also wenn ich jemanden sehe und mir anschaue, welches Gesicht und welchen Körper diese Person hat, dann werden in unserer Kultur sehr weitgehende Schlußfolgerungen über seinen Charakter und über seine Persönlichkeit gezogen, Schlußfolgerungen, die in keiner Weise gerechtfertigt sind.

Wie sieht die historische Dimension dieser Entwicklung aus?

Diese Überbetonung des Körpers ist eine neuere Erscheinung. Das hängt sicher auch damit zusammen, daß die Medien immer optischer werden. In früheren Zeiten war es so, daß die soziale Stellung eines Menschen wesentlich wichtiger war als seine äußere Erscheinung.

Trotzdem gab es doch zu jeder Zeit Schönheitsideale. Ist die These des Bodyismus wirklich etwas Neues, oder hat der Rückschluß von „außen“ nach „innen“ in der Geschichte einfach nur immer neue Formen angenommen?

Natürlich gab es zu jeder Zeit spezifische Schönheitsideale. Aber wenn man sich zum Beispiel das Christentum im Mittelalter anschaut, da wurde der Mensch von der Seele her konstruiert, und der Körper galt als ein Ausdruck der Seele. Darum trat Luther dafür ein, Behinderte umzubringen, weil deren Körper seiner Meinung nach Ausdruck einer vom Teufel besessenen Seele waren. In unserer Gesellschaft wird mit den Models, Bodybuildern und Charakertypen so getan, als wenn vom Körper her alles konstruierbar sei. Es gibt ja sogar Körpertherapien, die behaupten, indem sie den Körper neu formen, sei auch die Seele und der Geist umzugestalten. Das führt dazu, daß sich vor allem Frauen beispielsweise durch Diäten ihre Gesundheit ruinieren, um dem gängigen Schönheitsideal zu entsprechen.

Haben Frauen sich nicht schon immer malträtiert, um einem männlichen Schönheitsideal zu entsprechen, beispielsweise durch Korsagen?

Es ist aber ein Unterschied, ob ich einem Schönheitsideal entsprechen will, einfach nur weil ich als Sexualpartner attraktiv sein möchte, oder ob ich den gängigen Schönheitsvorstellungen entsprechen muß, weil ich auf allen Ebenen dieses Ideal vorzuweisen habe, um überhaupt als geistig akzeptabler Gesprächspartner zu gelten.

Aber die Männer, die bei uns in Macht- und Erfolgspositionen sitzen, entsprechen diesen Schönheitsidealen in der Regel doch wohl kaum?

Na ja, Kohl ist da eine Ausnahmeerscheinung. Wenn sie jetzt aber die ganze herrschende Klasse nehmen, versuchen viele ihrer Mitglieder schon, diesem Ideal möglichst nahe zu kommen. In dieser Klasse ist das Ideal meiner Meinung nach noch sehr wirksam.

Das glaube ich nicht so recht. Ich würde mal die These aufstellen, daß Frauen von diesen Zwängen mehr betroffen sind als Männer.

Ja, das stimmt. Frauen sind davon stärker betroffen als Männer. Das liegt auch daran, daß sich die sexuellen Attraktivitätsformen da stärker durchsetzen. Das sieht man unter anderem daran, daß ältere Männer eher als attraktiv gelten als ältere Frauen. Frauen müssen länger als Männer eine gewisse Jugendlichkeit vorschützen.

Wenn man nun diese Problematik erkannt hat, was kann man dann dagegen tun?

Ich plädiere dafür, sich die alte Unterscheidung zwischen Körper, Geist und Seele immer wieder zurück ins Gedächtnis zu rufen. Man muß sich klarmachen, daß diese Dinge zwar etwas miteinander zu tun haben, aber auch eine eigenständige Bedeutung haben. Bei Gesundheit geht es zum Beispiel um das allgemeine Wohlbefinden – das fühlt man aber in seinem Inneren, man sieht es jedoch nicht von außen.

Nun gibt es aber einige Krankheiten wie zum Beispiel Neurodermitis, die auch durch psychische Belastung ausgelöst werden können?

Das ist richtig, und die Erkenntnis, daß der Körper und der Geist zusammenhängen, ist ja auch eine neuere, relativ moderne Erkenntnis. Die Gefahr besteht nun darin, daß diese Zusammenhänge als untrennbare Verknüpfung angesehen werden. Das ist sehr gefährlich. Man kann in einem wunderschönen Körper stark depressiv sein. Doch die meisten vergessen, daß man sich auch in einem Körper, der nicht den gängigen Schönheitsidealen entspricht, glücklich fühlen kann.

Interview: Heike Blümner