Postkommunisten – Knechte des Großkapitals

■ Bei den Wahlen in Litauen am Sonntag wird die regierende LDDP die Macht verlieren – eine Quittung für ihre zahlreichen Korruptionsaffären und Skandale

„Die LDDP ist eine amoralische politische Kraft, mit der wir auf keinen Fall zusammenarbeiten werden.“ So wie Romualdas Ozolas von der sozialliberalen Zentrumsunion (LCS) urteilen fast alle Parteien in Litauen über die seit vier Jahren mit absoluter Mehrheit regierende postkommunistische „Litauische Demokratische Arbeitspartei“ (LDDP). Am Sonntag wird in dem baltischen Staat der Seimas, das Parlament, neu gewählt. Es ist zu erwarten, daß Litauen, das 1992 als erstes osteuropäisches Land eine postkommunistische Partei in die Regierung wählte, auch das erste Land sein wird, in dem sie die Macht auf demselben Weg wieder verlieren.

Der Hauptgrund ist dabei nicht die Vergangenheit der LDDP als „Organ der Besatzungsmacht“, wie die KP während der Unabhängigkeitsbewegung genannt wurde. „Ihre Politik während der letzten vier Jahre reicht als Grund aus, um eine Zusammenarbeit auszuschließen“, sagt Ozolas, der mit einer Antikorruptionskampagne eines der Hauptthemen des Wahlkampfes vorgegeben hat. Die Postkommunisten hätten an der Macht, so der Vorwurf, nicht dem Gemeinwohl gedient, sondern vor allem sich selbst. Die Wirtschaftsreformen seien so weitergeführt worden, daß nur die zu Großkapitalisten gewandelte alte Nomenklatura profitiert habe. Dadurch sei ein Klima entstanden, das betrügerische Bankrotte, unrechtmäßige Privatisierungen und das Eindringen mafioser Strukturen in den Staatsapparat begünstigt habe. Der gerade erst entstehende Mittelstand dagegen werde durch absurde Gesetze geknebelt. Selbst die oppositionellen Sozialdemokraten sehen mehr Gemeinsamkeiten mit dem nationalkonservativen Vaterlandsbund von Vytautas Landsbergis als mit der LDDP, die sich selbst als „Partei sozialdemokratischer Orientierung“ bezeichnet.

Der Opposition fällt es spätestens seit Anfang des Jahres leicht, das Bild einer durch und durch korrupten Regierung zu zeichnen. Damals mußte der Ministerpräsident und LDDP-Vorsitzende Adolfas Slezevicius abtreten, da er während der Bankenkrise im Dezember 1995 internes Regierungswissen zur Rettung seiner eigenen Bankeinlagen von umgerechnet ungefähr 50.000 Mark genutzt hatte. Mit ihm mußte Innenminister Romasis Vaitekunas gehen, der wie der Regierungschef von einer der zusammengebrochenen Banken das Doppelte des offiziellen Zinssatzes erhalten hatte. Das von der Presse aufgedeckte Sündenregister des Innenministers war bereits vorher von beachtlicher Länge: Daß er ein gestohlenes Luxusauto als Dienstwagen benutzte, obwohl die Polizei den rechtmäßigen Eigentümer schon lange ausfindig gemacht und benachrichtigt hatte, war nur die absurdeste, nicht aber die schwerwiegendste Affäre.

Vor diesem Hintergrund hat die LDDP Schwierigkeiten, die in letzter Zeit eingetretene wirtschaftliche Stabilisierung als ihren Erfolg zu verkaufen – zumal die Masse der Bevölkerung nichts davon spürt. Daher versuchen die Postkommunisten intensiv, den Litauern die Situation ins Gedächtnis zurückzurufen, die 1992 zu dem für sie selbst überraschenden Wahlsieg führte. Im Winter 1991/92, als die Unabhängigkeitsbewegung „Sajudis“ übergangsweise die Regierung übernommen hatte, froren die Menschen in kaum beheizten Wohnungen und blieben wochenlag ohne warmes Wasser, weil Litauen die von Rußland geforderten Weltmarktpreise für Öl und Gas nicht bezahlen konnte. Viele Litauer stimmten damals für die LDDP, in der Hoffnung, die Postkommunisten könnten dort günstigere Bedingungen erreichen. Hinzu kam, daß die aggressive Rhetorik des rechten Sajudis-Flügels um Landsbergis Angst vor einer nationalistischen Diktatur weckte, während das Bild der LDDP in der Öffentlichkeit von dem stets freundlichen Algiras Brazauskas geprägt wurde.

Der Vaterlandsbund als Nachfolgepartei von Sajudis begegnet dieser Kampagne offensiv. „Wir haben die Kinderkrankeiten der Opposition und der Regierung überstanden und aus unseren Fehlern gelernt“, sagt Rimantas Pleikys, der Wahlkampfmanager der Konservativen. Das neue Image einer toleranten und modernen Partei soll jene zurückgewinnen, die 1992 der nationalistischen, intoleranten und wirtschaftlich inkompetenten Unabhängigkeitsbewegung die Gefolgschaft versagten. Ausdruck dieser Bemühungen ist auch der Versuch, durch Wahlwerbung in russischer und polnischer Sprache die nationalen Minderheiten für sich zu gewinnen. Ob aber die Wähler den Konservativen ihren neuen Kurs abnehmen, ist fraglich, denn deren Spitzenkandidaten sind die gleichen, die vor vier Jahren die ganze Gesellschaft polarisierten und bis heute in Umfragen ebenso hohe Sympathie- wie Antipathiewerte erzielen. „Manche Mutter droht ihren Kindern noch immer mit Landsbergis“, spottete die populäre Tageszeitung Lietuvos Rytas. Um die Stimmen jener, die weder für die Landsbergis-Partei noch für die Postkommunisten stimmen wollen, buhlen eine Reihe von Parteien, von denen nur die Christdemokraten auf einen festen Wählerstamm zählen können. Die anderen hoffen, jene mehr als 40 Prozent der Bevölkerung zum Urnengang bewegen zu können, die noch nicht wissen, ob sie überhaupt wählen sollen. Reinhard Veser