Ein fader Geschmack bleibt

Nach dem Champions-League-0:1 gegen Dortmund kehrt ein altbekanntes Gefühl zu den Fans von Atlético Madrid zurück: stilles Leiden  ■ Aus Madrid Reiner Wandler

Atlético Madrid, „der größte europäische Klub aller Zeiten“; „Europa ist rot-weiß“ – hatte Spaniens Presse nach den 4:0 und 4:1 Siegen über Steaua Bukarest und Widzew Lodz gejubelt. Jetzt ist man ruhiger geworden. Die O:1-Heimniederlage in der Champions League gegen das durch sieben verletzte Spieler geschwächten Borussia Dortmund hatte im Stadion Vicente Caldéron keiner erwartet. Trotzdem war Trainer Radomir Antic natürlich um eine Erklärung nicht verlegen.

Die Borussen seien das erste gleichwertige Team in Europa gewesen — „eine erfahrene, disziplinierte Mannschaft“ — es habe sich eben um Fußball auf höchstem europäischen Niveau gehandelt. Pech und „fehlende Ruhe“ hätten zur Niederlage geführt, erklärt sich Antic das Ungenügen seiner als ballgewandte Superstars abgefeierten Spieler Kiko, Diego Simeone, Juan Esnaider und Milinko Pantic.

Das ist eine schöne Umschreibung der schmerzhaften Niederlage. Die rot-weißen Spieler brauchen Raum, um zaubern zu können. Bukarest und Lodz hatten ihn gewährt. Die Dortmunder nicht. „Ein fast perfekte Abwehr“ — das mußte Antic eingestehen — machte Esnaider und Kiko das Leben schwer. Sie verloren nicht nur allzu oft den Ball, sondern auch vor allem den Überblick.

Atlético habe sich bemüht, aber das Glück sei bekanntlich deutsch – so bewertet die spanische Sportpresse das über lange Strecken mehr als langweilige Gekicke der „europäischen Spitzenklubs“. Die Dortmunder hatten sich ganz auf ihre minutiöse Manndeckung und eine sicherstehende Abwehr verlassen. Effektiv, wenn auch langweilig – diese Rechnung von Borussia-Trainer Ottmar Hitzfeld ging letztendlich auf. Das Lied, das die Dortmunder Fans an RTL- Sprecher Marcel Reif richteten — „Und wieder mal keine Ahnung, was hier läuft“ —, hätten sie genausogut den Stürmern Stephane Chapuisat und Lars Ricken vorsingen können, die planlos in der gegnerischen Spielfeldhälfte auf und ab gingen.

Hitzfeld allerdings geriet hinterher richtig ins Schwärmen: „Die Mannschaft ist über sich selbst hinausgewachsen. Atlético war ein starker Gegner. Sie haben ein gutes Spiel gemacht.“ So spielt man den Ball elegant zurück, den Antic zuvor mit einer Verbeugung vor den vorgeblichen Dortmunder Spielkünsten herübergereicht hatte.

Man kann es verstehen: Nach den Mühen der Bundesliga saugen die Borussen den Erfolg von Madrid auf. Torschütze Reuter philosophiert vom zurückgewonnenen Selbstvertrauen, mit dem auch in der Liga alles wieder gut werde. Nach Madrid mag man auch einen Sieg kommenden Sonntag in München nicht mehr ausschließen.

Auch bei Atlético erinnert man sich nach der europäischen Heimniederlage wieder voller Entsetzen an die Ligatabelle. Nach Meisterschaft und Pokalsieg im Vorjahr schauen die Mannen Antic' von Platz sechs aus zu, wie Barcelona, La Coruña und — was am am meisten schmerzt — Erzfeind Real Madrid an der Tabellenspitze davonziehen. Die Zuschauer murren längst und bleiben teilweise weg. Am Mittwoch war das Vicente Caldéron erstmals in dieser Spielzeit ausverkauft.

Auch wenn keiner daran zweifelt, daß Atlético als Gruppenzweiter ins Viertelfinale einziehen wird, will kein Optimismus aufkommen. Während die Dortmunder Anhänger aber allein durch die Optimalzahl von neun Punkten aus drei Spielen zufrieden sein dürften, bleibt bei den Anhängern Atléticos ein fader Nachgeschmack — und auf dem Boden zwischen den Rängen Berge von nervös ausgekauten Sonnenblumenkernen. Nach einer Spielzeit ungewohnter Höhenflüge ist nun im Vicente Caldéron ein nur zu gut bekanntes Gefühl zurückgekehrt: stilles, treues Leiden.

Atletico Madrid: Molina - Geli, Santi, Solozabal, Toni - Aguilera (79. Lopez), Bejbl (76. Juan Carlos), Pantic, Simeone - Kiko, Esnaider

Borussia Dortmund: Klos - Feiersinger - Kohler, Cesar (67. Kree) - Reuter, Lambert, Ricken (71. Kirovski), Zorc, Heinrich - Chapuisat, Tretschok (87. Herrlich)

Tor: 0:1 Reuter (51.) - Zuschauer: 50.000 (ausverkauft)