Trouble, den ich meine

■ Handeln diese Lieder vom Ende einer Beziehung oder vom Ende der Welt? Wenn Gallon Drunk, die amerikanischste Band Großbritanniens, das mal selber wüßten!

Der Engländer, sagt das Klischee, ist ein höflicher Mensch. James Johnston ist Engländer. Und James Johnston ist höflich. Nahezu jede Frage quittiert er mit einem milden, fast japanischen Lächeln. Oft sagt er: „Ich weiß nicht.“ Manchmal findet er Fragen nach der Musik seiner Band Gallon Drunk auch einfach „schwierig“ zu beantworten. Dann wirkt es, als wäre ihm jener James Johnston, der auf der Bühne steht, selbst ein wenig fremd.

Der James Johnston, der auf der Bühne steht, ist kein höflicher Mensch. Man kann auch nicht sagen, daß er direkt unhöflich ist. Er kümmert sich einfach nicht um seine Umgebung. Er tobt und schreit und läßt die Augen aus den Höhlen kullern, daß man Angst bekommen kann. „Diese Art von Manie“ ist „nicht vorsätzlich. Ich habe natürlich eine starke Beziehung zu den Songs. Und wenn ich einen alten Song spiele, dessen Anlaß ich vielleicht längst vergessen habe, dann kommen diese Gefühle wieder.“

Der James Johnston, der die ersten Zeilen von „Geraldine“ flüstert – nein, eher bedrohlich herauspreßt, daß man jedes Schnaufen hören kann und soll –, scheint ein gehetztes Wesen zu sein. Eine Orgel schafft eine dürftige Unterlage, eine Gitarre verliert sich in einem einsamen Ton, schüchterne Maracas wuscheln, und Johnston fleht bitterlich: „Geraldine, honey, think of me.“ Es hört sich aber an wie: Wenn du mich verläßt, wartet nur noch der Tod auf mich. Vor wenigen Monaten hat James Johnston geheiratet. Seine Gattin trägt den schönen Namen Geraldine.

Gallon Drunk waren Anfang der 90er Jahre die amerikanischste Band, die nicht aus Amerika kam. Mal zerlegten sie den Blues in kleine, böse Splitter, mal schufen sie Soulstücke, aus deren klaustrophobischer Enge die Seele kaum mehr entkommen konnte. Gallon Drunk haben nach einer langen, langen Pause im letzten Herbst eine EP gemacht, der nun „In The Long Still Night“ folgte. In den drei Jahren davor gab es Probleme: keine Plattenfirma, Umbesetzungen. Aber Johnston war nicht untätig. Mit dem neuen Gallon-Drunk- Mitglied Terry Edwards begleitete er den inzwischen verstorbenen Schriftsteller Derek Raymond bei einigen seiner Sex-&-Crime-Lesungen. Und als Gitarrero-Ersatz für den verhinderten Blixa Bargeld war Johnston gar auf Lollapalooza-Tour mit Nick Cave und seinen Bad Seeds.

Aber drei Jahre sind eine halbe Ewigkeit in dem Geschäft, und weil es keine Veröffentlichungen gab, keine neuen Nachrichten, gab es statt dessen ein paar wenige obskure Gerüchte. Das Soloalbum, an dem er während seiner Zeit in Amsterdam gearbeitet haben soll, gibt es nicht. „Ich wünschte, ich hätte eines gemacht“, sagt er. Er hat auch noch nie in Amsterdam gelebt. Seine eigene Plattenfirma behauptet, für die Lollapalooza- Auftritte habe er sich das Pseudonym Christian Emmerich gewählt. „Nie davon gehört, das ist bizarr.“

Sogar ein wenig gackern muß James Johnston, wenn man ihn fragt, woher die selbstzerstörerischen Gedanken kommen, die ihn zu verfolgen scheinen, und woher diese Texte. Texte über die Liebe, die es ohne den Haß nicht gibt, oder den Betrug, der ohne Rache nicht sein kann. Doch diese beiden Menschen, glaubt er, passen ganz gut in die eine Hülle. Die Gefühle, die er empfindet, seien weniger depressiv als „romantisch. Die Romantik auf einem sinkenden Schiff.“ Und plötzlich taucht inmitten dieser so beherrschten Fassade dann doch ein grundsätzlicher Riß auf. „Die ganze Scheiße, die ich beschreibe“, und dann wird er doch einmal etwas ernster, „hat im Herzen immer eine Art von Reinheit.“ Er führt den Satz nicht weiter, meint aber doch wohl: nur im Herzen. So wie im Titelsong der neuen Platte, der zu einem gruselig dräuenden Marschrhythmus einen postapokalyptischen Zustand beschreibt – mit Worten, die offenlassen, ob es sich um das Ende einer Beziehung handelt oder das Ende der Welt.

Doch bei all dem versucht Johnston, „dieses lächerliche Selbst zurechtzurücken“. Dann nimmt er sich einen Walkman und streift ziellos durch die Straßen von London. „Ich laufe einfach in irgendeine Richtung. Am besten ist es, sich völlig zu verlaufen.“ Angeblich führt dieses „getting lost“ den Menschen über kurz oder lang in eine existentielle Hilflosigkeit, die den Kopf frei macht. Dann singt Johnston die Fetzen, die ihm durch den Kopf gehen, auf den Walkman.

Natürlich ist London nicht wirklich eine Eiswüste, der Weg zur nächsten U-Bahn-Station selten weit. Johnston lächelt mal wieder. Mit dem Alter, sagt er, ist er „möglicherweise“ etwas ausgeglichener geworden. Und auch wenn „In The Long Still Night“ nicht gerade ein Antidepressivum ist, die Grundstimmung der Platte ist beileibe nicht mit früher zu vergleichen, als der Blues von Gallon Drunk die tiefsten Sümpfe dieser Welt nach Zombies umzugraben schien.

Statt dessen legt der Neuanfang mehr Wert auf die Soulelemente, die von Anfang an da waren. Plötzlich kommen die Bläser nicht mehr aus dem Blecheimer, sondern fahren in die Beine. „Noch öfter“ als früher habe er den großen James Brown gehört, sagt Johnston, wenn auch immer noch ein wenig zweifelnd. Aber vielleicht ist das auch wieder die Höflichkeit des Engländers. Joe Byfield, der Mann an den Maracas, der nach einer Pause wieder in die Band zurückgekehrt ist, soll übrigens eine Sammlung von 2.000 Hawaiihemden besitzen. Thomas Winkler

Gallon Drunk: „In The Long Still Night“. City Slang/ EFA

Tour voraussichtlich im Dezember