„Das beste wäre ein Generalstreik aller Demokraten“

■ Der russische Schriftsteller Lew Kopelew spricht von einem Erfolg des organisierten Verbrechens

taz: Herr Kopelew, wie werten Sie die Entlassung Lebeds durch Präsident Jelzin?

Lew Kopelew: Das ist ein Erfolg des organisierten Verbrechens. Ein Erfolg der Kriegsverbrecher und Mafiosi, die bis in die höchste Ebene der Regierung vorgedrungen sind.

Welche Folgen könnte Lebeds Entlassung haben?

Sie kann letzten Endes einen Bürgerkrieg auslösen – wenn die Situation sich weiter wie bisher entwickelt. Das beste wäre jetzt ein Generalstreik aller Demokraten, aller auf die Verfassung eingeschworenen Menschen. Ein Generalstreik und die sofortige Absetzung Kulikows, dieses durch und durch korrupten Goldfasans. Es müßte eine provisorische, aber verantwortliche Regierung geschaffen werden, denn Jelzin ist ja nur eine Puppe. Er unterschreibt und wiederholt, was ihm gesagt wird.

War denn etwas dran an den Gerüchten, Lebed plane einen Putsch?

Das alles ist doch eine Lüge und auf der ganzen Linie absurd. Daß es jetzt in der Armee gärt und unruhig ist, ist nur natürlich bei der desolaten Situation in den Streitkräften. Daraus soll Lebed jetzt ein Strick gedreht werden. Die angeblichen Beweise sind schon abenteuerlich. Man stelle sich einmal vor: Die Tschetschenen sollen an der Seite Lebeds in den Moskauer Machtkampf eingreifen. Die Tschetschenen werden niemals in einen Streit in Moskau eingreifen. Sie kämpfen für die Freiheit ihres Landes. Auch die Behauptung, Lebed wolle eine eigene Sondertruppe aufstellen, ist genauso abwegig. Denn diese 50.000 Soldaten, das sind die Mitglieder der Präsidentengarde, die von General Korschakow befehligt wurde. Was wir jetzt erleben, ist ein harter Machtkampf, wobei die Konturen, dank der Presse, die immer noch frei ist, erst langsam sichtbar werden.

Welche Interessen verfolgt Innenminister Anatoli Kulikow?

Kulikow ist ein Schuft. Er ist sowohl mit verschiedenen Unternehmen als auch mit der Mafia verbunden. Lebed verfügt über genügend belastendes Material, um das zu beweisen. Und das zwingt Kulikow zu solchen dummen und radikalen Gegenmaßnahmen wie den Gerüchten über den Putsch. Den Ruf „Haltet den Dieb!“ gibt in diesem Fall der Dieb selbst am lautesten von sich.

Vielleicht bereitet Kulikow selbst einen Putsch vor. Die beste Möglichkeit, das zu maskieren, ist, andere eines Putsches zu verdächtigen. Übrigens hat Lebed bereits vor einigen Monaten diese Anschuldigungen gegen Kulikow erhoben. Damals hat das Jelzin aber nicht ernstgenommen.

Interview: Barbara Oertel