Landflucht der Vögel

Austernfischer und Säbelschnäbler haben sich an das Leben in der Stadt angepaßt  ■ Von Vera Stadie

Nur wer sich anpaßt, überlebt in Boomtown. Das gilt auch für die fliegenden Einwohner Hamburgs.

Perfekt ans Leben in der City angepaßt sind die Lachmöwen. Die Vögel brüten an Seen und Küsten und fallen dann Ende Juli samt Nachwuchs in Hamburg ein. Bis Anfang April kreisen riesige Möwenscharen durch die Stadt und fressen alles, was ihnen vor den Schnabel kommt. Im Hafen nächtigen in dieser Zeit schon mal 25.000 Lachmöwen, weiß Günther Helm von der Staatlichen Vogelschutzwarte.

Nicht so erfolgreich in ihrer Anpassung an das rauhe Stadtleben sind die Spatzen, denn sie sind auf Insekten als Nahrung angewiesen. Und wo soll man die herkriegen, wo auf den Äckern und sogar in den Gärten von Pestiziden niedergemacht wird, was kräucht und fleucht. Die Sperlinge in Hamburg werden seltener – das fällt nur nicht auf, weil es immer noch eine ganze Menge sind.

Dafür entdecken andere Vögel die Vorteile der Innenstadt. Viele Vogelarten besiedeln erfolgreich Lebensräume in der Stadt. Mauersegler, Spechte, Türken- und Ringeltauben und Flußregenpfeifer brüten in Hamburg. Auch die Amsel, einst ein scheuer Waldvogel, treibt sich hier herum. Und der Uhu aus dem Wohldorfer Wald macht Ausflüge „in die Stadt“, wie es in den Vororten heißt – es locken zahllose Taubenbrüstchen. Die großen Eulen mit den Büscheln überm Ohr wurden auf dem Bismarck-Bad in Altona und auf dem Campus gesehen.

Andere Zugereiste entdeckten Vogelkundler auf dem Dach des Elbe-Einkaufszentrums. Dort brüten Austernfischer. Der Wohnort hat Vorteile. „Da können sie weder Menschen, noch Katzen, noch Hunde stören und sie haben einen guten Überblick“, meint Helm. Probleme bekommen die Austernfischer erst, wenn die Brut flügge wird, denn Austernfischer sind Bodenbrüter, die ihren Nachwuchs normalerweise irgendwann einfach aus dem Nest schubsen und zur Nahrungssuche ans nächste Gewässer führen. Trotzdem ist es schon einigen der schwarz-weißen Vögel mit dem langen roten Schnabel gelungen, ihre Brut auf Dächern großzuziehen. Auf dem Speiseplan standen dann statt Meeresfrüchten Regenwürmer vom Sportplatz um die Ecke.

Auch der Säbelschnäbler, wie der Austernfischer ein Vogel, der normalerweise am Meeresstrand vorkommt, im flachen Wasser watet und nach Nahrung stöbert, hat die Großstadt als Lebensraum entdeckt. Auf einem Spülfeld in Moorburg wurden von aufmerksamen Vogelschützern in diesem Jahr diverse Exemplare gesichtet. „Sorgenkinder“ der Naturschützer sind die Wiesenvögel. Sie haben es schwer, weil sie auf feuchtes Grünland angewiesen sind – im Hamburger Raum sind das vor allem die Niederungen von Elbe, Alster und Pinnau. Der Kampfläufer beispielsweise ist in Hamburg seit 1990 ausgestorben, die Bestände von Uferschnepfen und Rotschenkeln nehmen ab.

Schuld daran sind die Eindeichungen, die Entwässerung von Grünland und die intensive landwirtschaftliche Nutzung. Vor allem in der Seestermüher, Haseldorfer und Wedeler Marsch sind mittlerweile 90 Prozent der ehemals außendeichs liegenden Bereiche eingedeicht worden, „unter nahezu völliger Mißachtung ökologischer Belange“, so Dr. Uwe Westphal vom Naturschutzbund. Zudem werden die Wiesen heute meistens so früh im Jahr gemäht, daß Arten mit langer Brutzeit, wie der Große Brachvogel und die Uferschnepfe, ihren Nachwuchs nicht mehr rechtzeitig aufziehen können.

Über eine Million Beobach-tungsdaten über Hamburgs Vogelwelt haben 150 Vogelkundler vom Arbeitskreis an der Staatlichen Vogelschutzwarte in der Umweltbehörde in den vergangenen 12 Jahren gesammelt und ausgewertet – überwiegend ehrenamtlich. Das Ergebnis der Fleißarbeit haben 23 AutorInnen im dritten Band der Dokumentation „Die Vogelwelt von Hamburg und Umgebung“ niedergeschrieben. Detailliert erläutert sind darin die Lebensräume, die Entwicklung der Bestände und das Brutverhalten von 102 in Hamburg vorkommenden Vogelarten. Der dritte Band behandelt unter anderem Watvögel, Möwen, Seeschwalben, Tauben, Eulen und Spechte und ist ein nützliches Handbuch und Nachschlagewerk für Vogelfans und Naturschützer – schließlich gibt es mehr als den Wachtelkönig. Vera Stadie

Stefan Garthe (Hrsg.): Die Vogelwelt von Hamburg und Umgebung, Wachholtz Verlag GmbH, Neumünster, 496 Seiten mit 178 Abbildungen, 91 Tabellen und zahlreichen Fotos, 50.- DM