Vom Surfen im Ökocyber

Ein Besuch bei Umweltgruppen in der Virtualität: Von Angela Merkel über den Lehrstuhl für Mykologie bis hin zur Ziegenmilch
■ Aus dem Internet Ina Kerner

Angela Merkel in Farbe lächelt ihr gequältes Cyberlächeln. „Ich freue mich, daß Sie auf Ihrem Informationsgang durch das Internet einen Stopp auf den Seiten des Bundesumweltministeriums gemacht haben“, begrüßt sie ihre deutschsprachigen BesucherInnen, und fährt gleich englisch fort, denn das Netz ist international: „I am pleased to see that you interrupted your browse ...“ Fast alle Wege führen zum Ministerium für Reaktorsicherheit, zumindest fast alle virtuell-ökologischen: Seit Anfang des Jahres tummeln sich bundesweit zwei bis drei Dutzend Umweltinitiativen im Netz und bieten neben bunten Homepages und Veranstaltungskalendern zahlreiche Links, Schnellverbindungen per Mouseklick, zu den jeweils anderen an.

Ich beginne in der Nähe, beim Berliner Bund für Umwelt und Naturschutz. Auf der Homepage erscheint die Silhouette der Stadt, daneben eine Leiste mit anklickbaren Verweisen: Veranstaltungen, Adressen, Aktivitäten, E-Mail, Info, Presseerklärungen, Links. Ich gehe über Aktivitäten und Projektgruppen zum Arbeitskreis Sustainability, und kriege dort „nachhaltige Informationen!“ auf den Bildschirm: darüber, was Sustainability meint und darüber, was der Arbeitskreis wann und wo macht. Von hier könnte ich noch zur „Wander-Ausstellung Zukunftsmarkt“ weiterklicken, schaue mir aber statt dessen die Beschreibungen zu den „Veranstaltungen im Oktober“ an – und bemerke, daß ich gerade den Diavortrag „Wurmkompost“ mit „Wurmvater Starck“ und der „Berliner Wurmkiste für Balkongärtner“ verpasse. Das ist der Nachteil eines bloß virtuellen Besuchs einer Umweltgruppe, den man ja gemütlich am Wohnzimmertisch machen kann: Man verpaßt das ökologische Leben vor der Haustür.

Die AktivistInnen von Greenpeace Berlin wissen das und blenden darum auf ihrer Homepage den Slogan „Raus aus Cyberspace, rein in die Berliner Greenpeace- Gruppe“ ein. Nach Auskünften von Kai Laborenz, Homepage- Verwalter, oder schöner: Webmaster der Gruppe, sind auch schon ein paar Leute aufgrund der Internetseiten zu Treffen des Vereins gekommen. Seit November vergangenen Jahres ist Greenpeace Berlin im Netz, und bietet einen ähnlichen Service an wie der Bund: Informationen zu Aktivitäten und Struktur der Organisation, dazu Kontaktadressen und Links zu anderen Umweltgruppen. 40 bis 70 Zugriffe pro Tag gibt es auf die Seiten, die immer dann besonders hoch sind, wenn Greenpeace verstärkt in den herkömmlichen Massenmedien vorkommt. „Wir wollten neue Zielgruppen erschließen und Informationen selbstgesteuert vertreiben“, erläutert Laborenz die Motivation des Vereins, ins Netz zu gehen. Seit etwa einem Jahr tauschen sich bei Greenpeace außerdem verschiedene Lokalgruppen über sogenannte Mailboxen aus, virtuelle Informationsbretter, die wiederum untereinander vernetzt sind. „Da diskutieren im wesentlichen die Ehrenamtlichen“, weiß Laborenz. Dennoch sind die Vernetzten bei Greenpeace noch in der Minderheit: Von etwa 65 kontinuierlich Aktiven interessieren sich in der Berliner Gruppe bloß vier bis fünf fürs Internet. Auch die Hamburger Bundesgeschäftsstelle war zunächst skeptisch: „Es kamen die typischen Einwände gegen Telekommunikation“, sagt der Webmaster. Mittlerweile wird bei Greenpeace das Netz aber auch zur Informationsweitergabe benutzt.

Ähnlich ist es beim BUND Berlin, der seit Mitte August mit Webseiten im Netz vertreten ist. „Es gibt absolute Überwindungsbarrieren“, beschreibt Thorsten Edler, Referent für Umweltmarketing, die Akzeptanz des neuen Mediums innerhalb des Landesverbands. Von 150 bis 200 Aktiven engagieren sich bloß zwei bis drei im Virtuellen, und Edler wünscht sich, „daß der Bundesverband mehr tun würde“. Auch der BUND Berlin ging ins Netz, um Arbeit und Struktur des Vereins zu präsentieren und um neue Mitglieder zu werben, und nicht so sehr, um ein neues Kommunikations- und Vernetzungsmedium für konkrete umweltpolitische Kämpfe in der Hand zu haben. Das ist anders bei „EcoNet“, dem großen weltweiten Netz hauptsächlich nordamerikanischer Umweltgruppen, das sich neben dem ADFC, der Deutschen Waldjugend, dem Öko-Institut, dem VCD, dem Deutschen Tierschutzbund, dem WWF, Robin Wood und vielen anderen im Web tummelt. EcoNet wird seit 1986 neben einem Peace-, Conflict-, Labor- and WomensNet von der „Association for Progressive Communications“ in San Francisco herausgegeben und hat nach eigenen Angaben mehr als 20.000 BenutzerInnen. Es listet Artikel aus umweltbezogenen Newsgroups, informiert über einschlägige Hilfsquellen und liefert Verweise über unzählige Umweltgruppen nach 26 verschiedenen Kategorien – auch wenn sie abwegig erscheinen mögen. Unter dem Stichwort „Mushrooms and Mycology“ beispielsweise gibt es Verbindungen zum „Mushroom Grower's Newsletter“, den „Fungus Archives“ und dem „Lehrstuhl für spezielle Botanik und Mykologie“. Daneben hat EcoNet eine Sparte mit „links of particular current importance“. Hier erscheinen unter anderem „emergency Action Alerts“, wie der Aufruf des lokalen „Environmental Protection Information Center“, möglichst umgehend PolitikerInnen oder andere Entscheidungsträger in Kalifornien anzurufen, um eine geplante Abholzung uralter Haine im Headwaters Forest zu verhindern.

Neben den Ökoinitiativen bieten längst auch kommerzielle Betriebe ihre Dienste im Netz an. Die Seiten der Waldjugend beispielsweise hat eine Firma namens Maglist gestaltet, die sich, laut eigener Webseite, „ausschließlich im Bereich Umwelt, Ökologie, Natur auf die neuen Medien und Computersoftware spezialisiert hat“. Bei Maglist gibt es dann auch gleich ein „Internet-Öko-Kaufhaus“ und „Umwelt & Natur-Software“ im Angebot. Ähnlich schaut BluePlanet aus, der Server jener „Internet- Werbeagentur“, welche die Webseiten des Ökoinstituts herausbringt. Auch hier wird nicht nur vermarktet, sondern auch verkauft. Der Internet-Katalog zur „virtuellen Umweltmesse“ zum Beispiel bietet unter der Rubrik „lebensfreundliche Produkte“ eine „neue, in Deutschland einzigartige Kosmetikserie auf Ziegenmilchbasis“ feil und zieht zum Lobpreis der Ziegenmilch als solcher und in ihrer heilenden Wirkung im besonderen Hippokrates, Hildegard von Bingen und Kleopatra heran. In der verschämten Abteilung „Dies und Das“ gibt es „Irrigator und Klysopumpe zur Reinigung des Dick- und Enddarms“ nebst Anleitung zum erfolgreichen Einlauf.

Da sind dann auch die „Comics mit Bille & Henning“ nicht viel besser, mit denen Merkels Bundesumweltministerium seine Internet- Seiten aufzulockern trachtet. In der Folge „Cool“ friert Henning im Eisschrank fest, den er zuvor auf die kälteste Stufe gestellt hat, da Bille noch ein Glas Eistee wollte. Die kluge Bille rettet Henning, indem sie den Regler auf die niedrigste Stufe herunterdreht. Fröhliches Ende: Bille steht vor einem FCKW-freien Kühlschrank, trinkt Eistee und sagt: „So geht es auch!“ Da kann man auch gleich ein Cyberbier trinken gehen. Zum Beispiel in der Weblounge auf http://www.stern.de

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