Die Luftschiffe des Grafen Zeppelin

Friedrichshafens Tourismus boomt, seit der Hafenbahnhof zum Zeppelin-Museum wurde  ■ Von Gerhard Fischer

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als der Tourismus an den Ufern des Bodensees noch in den Kinderschuhen steckte, wurde das verschlafene Kur- und Residenzstädtchen Friedrichshafen an manchen Tagen von Besuchern geradezu überlaufen. Universitätsstudenten und -professoren schwenkten inmitten der Mitglieder ungezählter patriotischer Vereine Reichsfahnen, Schaulustige aller Altersklassen mischten sich unter die geladenen Gäste von Land- und Reichstag. Alle waren gekommen, um den Aufstieg eines Zeppelins mitzuerleben. Alle huldigten dem Erfinder dieser lenkbaren Starrluftschiffe, Graf Ferdinand von Zeppelin.

Als am 6. Mai 1937 – seit dem Aufstieg des ersten dieser eher plumpen Flugobjekte waren fast vierzig Jahre vergangen – das im Post- und Passagierdienst eingesetzte „LZ 129 Hindenburg“ bei Lakehurst im US-Staat New York explodierte, schien die Begeisterung für die Luftschiffe vom Bodensee für alle Zeiten erloschen. Die Untauglichkeit der Zeppeline für die moderne Luftfahrt schien nun erwiesen.

Heute, annähernd achtzig Jahre nach dem Tod des Erfinders, lebt die Faszination, die dem Unternehmen Zeppelin in wilhelminischer Zeit zuteil wurde, wieder auf. Denn allein in den ersten vier Wochen seit der Eröffnung im Juli kamen 100.000 Besucher in das neue Zeppelin-Museum nach Friedrichshafen. Bei rund fünfzigtausend Einwohnern eine ansehnliche Zahl.

Dabei war es ursprünglich die Schiff- und nicht die Luftfahrt, die Friedrichshafen bekannt gemacht hat. Fast 150 Jahre führte hier an der mit 16 Kilometern breitesten Stelle des Bodensees die wichtigste Fährverbindung hinüber zum Schweizer Ufer nach Romanshorn. Heute noch zeugen die ausgedehnten Anlagen des Romanshorner Hafens von erfolgreicheren Zeiten, als zu Anfang des Jahrhunderts die Trajektfähren jährlich Zehntausende Güterwaggons von der einen auf die andere Seeseite transportierten. Mitte der siebziger Jahre mußten die Schweizerischen Bundesbahnen dann aber den Güterverkehr über Wasser aus ökonomischen Erwägungen einstellen. Seither ist nicht nur der Hafen von Romanshorn verwaist, auch der Hafenbahnhof Friedrichshafen hat seine Funktion eingebüßt. Doch da die größte Stadt am Nordufer des Bodensees mittlerweile dank Zeppelins Unternehmen und einer darauffolgenden Industrialisierung von immensem Ausmaß ganz andere wirtschaftliche Kapazitäten aufwies, war der Verlust in dieser Hinsicht nicht von Bedeutung. Städtebaulich freilich hat der Hafenbahnhof, ein 1933 fertiggestellter eleganter Stahlskelettbau im Stil der Neuen Sachlichkeit, im architektonisch eher nüchternen Friedrichshafen einen gewichtigen Akzent gesetzt. Gleichwohl ließ die Deutsche Bundesbahn das Gebäude nach der Aufgabe des Trajektfährbetriebs verkommen.

Als einstige Waffenschmiede wurde die Stadt Ende des Zweiten Weltkriegs fast vollständig zerstört. Lange lebte sie gut vom Motoren- und Getriebebau, von Luft- und Raumfahrtindustrie sowie der zweitgrößten Messe in Baden- Württemberg. Dem Fremdenverkehr mußte sie keine besondere Beachtung schenken. Das hat sich geändert. Nachdem schon das 1985 eröffnete Graf-Zeppelin-Haus, ein über hundert Millionen Mark teures Kultur- und Kongreßzentrum großstädtischen Zuschnitts, ein dickes Plus verzeichnete, tut die Eröffnung des Zeppelin-Museums nun ein übriges. Seit dem 2. Juli, dem Eröffnungstag des Museums – auf den Tag genau 96 Jahre vorher war der erste Zeppelin über dem See aufgestiegen – gehört Friedrichshafen, was den Bodenseetourismus anlangt, zu den ersten Adressen.

Mit dem unter Federführung des ortsansässigen Architektenbüros Jauss/Gaupp ohne viel Zierrat gestalteten Umbau des Hafenbahnhofs zum viertausend Quadratmeter großen „Zeppelin-Museum – Technik und Kunst“ besitzt die Stadt nicht nur das größte Ausstellungsgebäude der gesamten Bodenseeregion, sondern auch das mit Abstand teuerste. Die Baukosten beliefen sich auf runde siebzig Millionen Mark. Superlative beansprucht auch das Kernstück der Sammlung, die Teilrekonstruktion des „LZ 129 Hindenburg“, die sich auf einer Länge von vierzig Metern in der großen Halle des Erdgeschosses erstreckt und nach oben zwei Etagen durchmißt. Per Fallreep gelangen die Besucher ins Innere des Luxuszeppelins, dessen Gesellschaftsräume, akribisch nachgebaut, das Modellbau-Attribut „authentisch“ beanspruchen. Modellflieger, Bastelfreunde und Militariasammler kommen unter dem Motto „Wenn der Vater mit dem Sohne“ auch in der Sektion Technik auf ihre Kosten, wo Motoren, Gerüstelemente, Propeller, aerodynamische Modelle usw. angehäuft sind. Die Kunstabteilung des Hauses, die neben bescheidenen Objekten aus dem Mittelalter und Barock außer einigen Arbeiten des von den Nazis an den Bodensee getriebenen Otto Dix, Max Ackermanns und Willi Baumeisters reichlich provinziell daherkommt, wurde in ein Gesamtkonzept „Technik und Kunst“ gezwungen. Noch weitaus gefälliger aber ist die historische Darstellung der industriellen Entwicklung Friedrichshafens ausgefallen.

Kein Wort, kein Hinweis über die KZ-Häftlinge, die in Überlingen für die aus dem Zeppelinkonzern hervorgegangenen Rüstungsbetriebe Maybach Motoren GmbH, Dornier Werke und Zahnradfabrik Friedrichshafen zur bombensicheren Verlagerung der Produktion Stollen graben mußten. Genausowenig ist die Rede vom Außenkommando des KZ Dachau in Friedrichshafen, wo die Luftschiffbau Zeppelin GmbH Zwangsarbeiter bei der Endmontage der V-2 einsetzte. Ferdinand von Zeppelin wird dem Mythos um seine Person entsprechend als der gutmütige, einzig von Erfindermut getriebene altersweise Graf präsentiert.

Kein Hinweis darauf, daß er aus dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 als zweifelhafter Kriegsheld hervorgegangen war und von da an im Einklang mit seinen Luftzigarren der Verehrung von deutschnationaler Seite gewiß war. In Ost und West, der illustrierten Wochenschrift der Münchener Neuesten Nachrichten hieß es Mitte November 1919 etwa: „Der Stolz, ein Deutscher zu sein, schwellte alle Herzen. Der Luftzug, den die Schrauben des Zeppelin erzeugten, hatte die schwere Wolkendecke zerrissen, die seit dem unglücklichen Ausgang des Krieges erstickend über Deutschland lastete.“

Daß der gräfliche Erfindergeist nur ein Ziel kannte, nämlich den militärischen Einsatz der Luftschiffe, wird im Zeppelin-Museum mit dem Satz, „Erst die Rüstungsproduktion führte zum Wirtschaftsaufschwung“, gerechtfertigt. Tatsächlich wurden von den zwischen 1910 und 1918 gebauten 113 Zeppelinen lediglich zehn einer zivilen Nutzung überführt.

Den Rest hatte das Kriegsministerium in Auftrag gegeben, nachdem in der ersten Dekade des Jahrhunderts die Verhandlungen darüber noch stockend verlaufen waren. Eine Rekordfahrt über 700 Kilometer von Friedrichshafen nach Mainz und zurück sollte deshalb am 4. August 1908 alle Zweifel an den Zeppelinen in Luft auflösen. Das Unternehmen mißlang jedoch gründlich.

Auf dem Rückflug mußte die LZ 4 in Echterdingen notlanden, wurde von einem Sturm erfaßt und explodierte. Das Unglück wurde als nationale Katastrophe interpretiert, die nur durch ein Wunder behoben werden konnte. Das „Wunder von Echterdingen“ geschah: Innerhalb kurzer Zeit kam eine sogenannte Volksspende in Höhe von sechs Millionen Reichsmark zusammen, das Gründungskapital der Luftschiffbau Zeppelin GmbH und somit aller Nachfolgebetriebe, der Zeppelin Metall und der Zahnradfabrik genauso wie der Maybach Motorenwerke und Dornier, die heute beide zum Daimlerkonzern gehören.

Mit diesen „Stiftungsbetrieben“ mauserte sich Friedrichshafen zu einem herausragenden Industriestandort, dessen Kämmerer schon einmal Gewerbesteuern von über vierzig Millionen verbuchen konnte. Und da die „Zeppelin-Stiftung des Deutschen Volkes“, die den Löwenanteil für das Graf- Zeppelin-Haus und das Zeppelin- Museum beigesteuert hat, in den fünfziger Jahren der Stadt Friedrichshafen übertragen wurde – Oberbürgermeister Wiedmann schätzt ihren Wert auf vier Milliarden Mark –, sind der Zeppelinmanie am Bodensee keine Grenzen gesetzt.

Erst recht nicht, seit 25 Ingenieure und zehn Monteure wieder mit der Konstruktion eines neuen Zeppelins beschäftigt sind. Dieser Prototyp, das Starrluftschiff Zeppelin NT N 07, so vermeldet die Zeppelin Luftschifftechnik GmbH, soll im kommenden Frühjahr erstmals auf große Fahrt gehen. Wenn alles glatt geht, genau an dem Tag, an dem sich die „Hindenburg“-Explosion zum sechzigsten Male jährt.