Grüßt mir den Mond

Flimmernde Erde, Reichsflieger im All: An der Berliner Volksbühne inszenierte Frank Castorf „Des Teufels General“ von Carl Zuckmayer  ■ Von Petra Kohse

Alles dunkel, nur eine Weltkugel dreht sich im Hintergrund. Sie ist blau und gelb und ganz weit weg. Dann leuchten Sterne. Das ist schön, und weil „Des Teufels General“ von Carl Zuckmayer bevorsteht, fallen einem gleich Hans Albers und Kampffliegers Nachtgesang ein: „Flieger, grüß mir die Sonne, grüß mir die Sterne und grüß mir den Mond.“ Wobei kaum zu erwarten ist, daß Frank Castorf das Stück so inbrünstig schmettern wird. Oder doch? Zunächst geht erst mal das Licht an.

Wie der Blick durchs All auf die Erde signalisiert, soll „Ottos Restaurant“, in dem der Fliegergeneral Harras mit Freunden und Feinden zusammentrifft, wohl irgendwo im Weltraum kreisen. Andererseits beläßt es der Bühnenbildner Peter Schubert bei reichsparteitagdicken und schmucklosen Wänden. Eine entsetzliche Vorstellung, Lichtjahre von der Erde doch wieder in Berlin im Jahre 1941 anzukommen ... Ein Uniformierter tritt auf, schleppt einen Holzpanther herbei und schüttet Laub auf die Bühne. Deutschland im Herbst?

Zuckmayer schrieb „Des Teufels General“ im amerikanischen Exil. Pünktlich zum Kriegsende war das Stück fertig – und durfte zunächst nicht aufgeführt werden, weil die US-Kontrolloffiziere für politisch bedenklich hielten, gleich wieder Uniformträger auf deutschen Bühnen zu zeigen. Zumal so menschlich zerrissen: General Harras ist ein Held, aber nicht in der Partei. Er fliegt für die Nazis und riskiert doch stets eine Lippe, er richtet verunsicherte Jungkollegen auf, und ganz heimlich hilft er Juden zu befreien. Es kommt zu Sabotageakten – Materialfehler, Oberst Eilers stürzt ab. Harras wird verantwortlich gemacht, er ahnt und bangt, geht – vertrauensbildende Maßnahme – selbst wieder in die Luft und stirbt.

Ein Mann liebt seinen Beruf, ein Mann läuft mit, ein Mann opfert sich am Ende zur Strafe für das, was er nicht verhindert hat. Was soll man dazu sagen? Das Aufführungsverbot konnte nicht lange aufrechterhalten werden, bevor Curd Jürgens den Harras im Film verewigte, wurde „Des Teufels General“ schon 5.000mal gespielt.

Auch im Jahre 1996 in der Berliner Volksbühne, im Theater der Unkorrumpierbaren, dem Panzerkreuzer „Ost“, kriegt man den Fliegergeneral nicht klein. Anders als bei den ersten beiden Teilen seiner Deutschland-Trilogie, „Pension Schöller“ und „Golden fließt der Stahl“, hat Castorf keine Müller-Texte in das Stück montiert.

Es wird Zuckmayer pur gegeben, wenn auch gekürzt, mit nur wenigen Darstellern in wechselnden Rollen, und damit sich die Verquickung von Macht und Sssex, Heroik und heulendem Elend besser entlarvt, wurden Frauen teils als Männer besetzt. Und umgekehrt!

Am Ende hebt der Regisseur den Finger dann noch mal und führt einen „Chor der Opfer“ ein, der einfach umdreht, was den General bislang zu entschulden schien: Gerade Harras' Zweifel an der Sache, der er gleichzeitig diente, machten ihn zum wahren Schuldigen, rufen sie infam, nachdem sie einem Jeep entstiegen und Nazi-Fähnchen geschwenkt haben, und damit hat Castorf doch das letzte Wort. Aber so recht will sich auch daraus keine andere Erkenntnis ableiten lassen, als daß Harras eben eine tragische Figur ist. Hier sogar noch mehr.

Zuvor konnte man drei Stunden lang beobachten, wie die Volksbühnen-Darsteller sich strikt rampenparallel darum bemühen, Milieu herzustellen, um es dann nur deswegen zu veralbern, damit sie ihre stage-credibility nicht verlieren.

Corinna Harfouch ist Harras. Zumindest am Anfang. Und sieht man von der Peinlichkeit ab, die Frauen in Männerrollen mit tiefer Stimme und breitbeinigem Gang immer an sich haben – und die nur eine Sophie Rois als NS-Kulturleiter Schmidt-Lausitz vermeiden kann –, macht sie das sehr gut. Sie gibt sich hart und herzlich, und die anderen nehmen es ihr ab.

So vollzieht sich die Handlung Akt für Akt, sinnfällig illustriert. Weil Nazis hündisch sind, wird geknurrt, weil sie keinen Schwanz in der Hose haben, wird der von Harras um so mehr bewundert (allerdings erst, als Bernhard Schütz die Rolle schon übernommen hat). Die Weltkugel dreht sich bei alldem weiter, flimmert mal wie zu Zeiten, als es den Sendeschluß noch gab, zeigt Kampfflieger oder gar nichts. Dazu Fahrstuhlmusik aus den Fünfzigern.

Weil die Harfouch, Sophie Rois und Bernhard Schütz gute Schauspieler sind, gibt es immer wieder lustige Einlagen. Leidenschaftliche Ausbrüche auf Schaukelpferden, Begrüßungsrituale mit beiläufigem Betatschen der Genitalien oder stille Tänzchen mit verrutschtem Rock. Mal grölen alle „Seemann“ von Rammstein, dann kriegt Rois als Nazi-Tusse Pützchen wieder einen ihrer sportlich- hysterischen Anfälle: „Harras schmuggelt Juden, der ist so gut wie gefickt!“ Best of Volksbühne.

Leider wirkt die hauseigene stilisierte Spontaneität in diesem Fall nicht automatisch subversiv. Daß dem Lotsen nichts verboten sei, heißt es schon im Albers-Lied, und so bleibt auch ein schleimspuckender Harras immer noch ein General. Schonzeit für Deutsche! rief Zuckmayer, und wie sehr ihm Castorf auch gegen das Schienbein tritt – das feiste Polster durchdringt er damit nicht.

Nächste Aufführungen: 22./23.10.