Jedes Girl ein Pixel–Muster

■ Busby Berkeley ist eine Lesbe – Claudia Reiche über Techno, tanzende Kameras und erotische Tiefenwirkung in den Revuefilmen eines Außenseiters

„Lebende Bilder“ sind die Passion von Claudia Reiche, Hamburger Literatur- und Medienwissenschaftlerin und Performance-Künstlerin. Auf den Lesbisch–Schwulen Filmtagen wird sie einen Vortrag über Busby Berkeleys Filmrevuen aus den dreißiger Jahren halten und seine kaleidoskopischen Bilder von Beine-schwenkenden „Girls“ mit der computergenerierten Video-Ästhetik vergleichen.

taz: Woher nehmen Sie den visuellen Vergleich zwischen den Filmrevuen und MTV-Videoclips?

Reiche: Ich finde Busby Berkeleys Bildwelten modern und möchte sie deshalb zu computererzeugten Bildern in Beziehung setzen. In dem Film Dames von 1934 etwa gibt es den berühmten „tunnel of love“: Weißgekleidete Girls werden vor einer symmetrischen Raumillusion so gefilmt, daß eine erotische Sogwirkung entsteht. Diese Tiefenillusion kommt auch in der Techno-Szene vor. Dazu möchte ich auch die gar nicht erotische Bildlichkeit der „artificial life“-Forschung in Bezug stellen, die seit den sechziger Jahren meint, durch mathematisch vorgegebene Bilderfolgen echtes Leben, ein Paralleluniversum schöpfen zu können.

Aber wird auf diese Art nicht in diese Filme medienhistorisch etwas hineingelesen, was so nicht hineingelegt wurde?

Berkeleys Bilder waren das Avantgardistischste, was damals herausgebracht werden konnte. Sie wurden als Geheimtip, als Verrücktheit weitergereicht, die nicht nach Hollywood paßte. Und so blieb Berkeley trotz seines Erfolges ein Außenseiter.

Ist denn die Opulenz nicht typisch für Hollywood?

Das Monumentale ist natürlich „Hollywood“. Dennoch war Berkeley eigen, daß er die Form des Varietés des 19. Jahrhunderts modernisiert hat, indem er die Kamera bewegte. Er hat gesagt, „bei mir muß die Kamera tanzen“.

Was hat denn das alles mit den Filmtagen zu tun?

Der allgemeine Bezug ist die extreme Künstlichkeit der Bilder. Die Plots sind stereotyp und laufen regelhaft auf den Heiratsantrag des Helden heraus. Das paßt gar nicht zu den Tanzszenen, den „produc-tion numbers“, die etwas Künstliches transportieren. Wenn Frauen zu Mustern werden, wird auch Geschlechtsidentität aufgelöst, dann entsteht ein synthetischer Eros, der den Plot mit heterosexuellem Heirats-Happy-End in Frage stellt.

Ist das das subversive oder schwule Element an Berkeley?

Berkeley ist sehr beliebt bei Schwulen. Ob er selbst schwul war, spielt überhaupt keine Rolle. Trotzdem macht er schwule Filme, und ich finde sogar, er macht in der Wahrnehmung der Zuschauerinnen lesbische Filme. Mich zum Beispiel sprechen die Bilder erotisch an. These ist, Busby Berkeley ist eine Lesbe.

Aber Berkeley geht doch mit dem weiblichen Körper ganz traditionell um. Die Geschlechtsidentität wird nach Belieben zerstückelt und zusammengesetzt.

Viele Filmtheoretikerinnen lehnen Berkeley deswegen ab. Kein Zweifel, er hat die Girls ausgebeutet und geschunden. Schließlich war er auch Ausbilder beim Militär und hat die Soldaten dort bereits in Formationen exerzieren lassen. Aber ich empfinde es als positiv, wenn die Frau nicht als Geschlechtsidentität abgebildet wird, sondern wenn genau diese Fragmentierung zum Beispiel Schönheit entstehen läßt.

Nichtsdestotrotz soll das Publikum damit unterhalten werden, daß dort weibliches Fleisch durch die Gegend geschwungen wird.

Aber viel „gefährlicher“ ist es doch, wenn es sich mit einer einzelnen Heldin identifizieren soll, die heiratet und nicht weiter im Beruf bleiben darf. Berkeley dagegen erlaubt viele verschiedene Blicke. Der habenwollende Zugriff auf die Frauen als Objekt wird bei ihm sinnlos. Es geht um die Bilder, bei ihm ist jedes Girl ein Pixel. Fragen: Janina Jentz und Ulrike Winkelmann

Busby Berkeleys Filmrevuen – eine Zeitreise; Vortrag mit Videoausschnitten, heute, 18 Uhr, 3001