Die Rückkehr der Blasmusik

■ ... und andere Zeitgeistphänomene, beobachtet beim „Off-Festival“ im Wehrschloß

Einmal im Jahr treffen sich im „Wehrschloß“ junge Bands aus Bremen und Umland zum „Off-Festival“, wo sie an zwei Abenden unentgeltlich und ohne Eintritt ihr Können demonstrieren. So am vergangenen Wochenende. Im Publikum ist im Bereich des Hairstylings in diesem Jahr neben der Psychobilly-Tolle ohne Haare umzu vor allem wieder der Pferdeschwanz für den Herren und die Dame en vogue. Außerdem feiern Holzfällerhemden und „Nirvana“-T-Shirts ein Comeback; letztere vor allem bei den Jüngeren, wo man sich oft unsicher ist, ob sie schon auf der Welt waren, als Kurt Cobain sie verlassen hat. Statt dem Nippen an kleinen Bierflaschen diktiert der Zeitgeist momentan den großen Schluck aus der kollektiven Weinflasche. Bei den unbeirrbaren Biertrinkern ist eine Rückkehr zur Halbliter-Weißblechdose zu verzeichnen. Das Sammeln von achtlos abgestellten Pfandflaschen hingegen wird niemals aus der Mode kommen.

Musikalisch hört und spielt man jetzt Ska-Punk. „Practical Joke“ wußten das schon im letzten Jahr und waren diesmal wieder dabei. Zum ersten Mal gab sich die Neugründung „Tatort“ die Ehre. Damit aus Punk Ska-Punk wird, braucht man mehr Instrumente als üblich, und so machte die Bremer Band die Bühne ordentlich voll: Neben dem gängigen Gesang/Gitarre/Baß/Schlagzeug-Ensemble gab es zwei Bläserinnen und eine Akkordeonspielerin. Der Sound entpuppte sich als genauso voll wie die Bühne, und so füllte sich auch der Saal. Das Schöne an „Tatort“: Die Blasinstrumente werden nicht bloß zum trashigen Tröten mißbraucht, sondern bereichern die kantigen Ska-Rhythmen, indem sie ihnen eine Melodik und eine Geschmeidigkeit geben, die niemals auf Kosten der Zackigkeit und Hüpfbarkeit der Songs geht. Nur wenige Besucher verzogen sich in stillere Ecken, weil sie es „'n bißchen slow“ fanden.

Wem „Tatort“ zu slow war, konnte sich auch in diesem Jahr an einer ganzen Reihe lauter und schneller Hardcore- und Metal-Bands erfreuen. Was im Vergleich zu den Vorjahren auffiel, war der Anstieg der handwerklichen Professionalität der langhaarigen Metal-Vertreter. Mag ihre Musik nicht origineller geworden sein, so war doch oft Melodisches im Harten zu hören, ohne daß sich gleich Kuschelrock ergeben hätte.

Handwerklich versiert und stilistisch originell waren derweil die Oldenburger „Bag of Bones“. Brillant verstanden sie es, mit bluesrockigen Strukturen und gelegentlichen Hardcore-Entladungen Spannung aufzubauen. Dazu eine stimmgewaltige Sängerin, die von albernen Mäh-Geräuschen beim „Lied vom schwedischen Schaf“ bis zu ganz großen Gefühlen aus ganz tiefen Grüften stets den richtigen Ton traf. Liebenswert ungeeignet war sie dafür als Poseurin: Als sie am Ende eines Songs eine Spielzeugpistole abfeuerte, erschreckte sie damit mehr sich selbst als das Publikum. Andreas Neuenkirchen