Deportation per Güterwagen in den Tod

■ Vor 55 Jahren begann die Massendeportation Berliner Juden in die Konzentrationslager. Die Fertigstellung der geplanten Gedenkstätte an der Rampe am Güterbahnhof Grunewald wird für Herbst 1997 erwartet

Vor 55 Jahren, am 18. Oktober 1941, begannen die Nationalsozialisten mit der Deportation Berliner Juden in die Konzentrationslager. Über 50.000 von ihnen wurden nach den zahlreichen Transporten in die Vernichtungslager von den Nazis ermordet. Vom Bahnhof Grunewald startete damals der erste Transport in den Tod, von den Nazis so zynisch wie verharmlosend „Welle I“ genannt. Über 500 Juden wurden an diesem Tag in die Güterwagen gepfercht, sechs Tage später folgte eine zweite „Welle“, ebenfalls mit 500 Menschen.

Im Jahr 1993 gab es heftige Diskussionen, als die Bundesbahn eine Waschanlage für den Intercity nahe der ehemaligen Deportationsrampe bauen wollte. Bahnchef Heinz Dürr entschuldigte sich damals in aller Form, und es kam zu Gesprächen zwischen ihm und dem Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis. Man einigte sich darauf, den historischen Ort in eine „würdige Gedenkstätte“ umzugestalten.

Nach langen Diskussionen entschloß sich eine eingesetzte Jury schließlich im Frühjahr dieses Jahres, einen Entwurf der Gruppe Hirsch, Lorch und Wandel (Saarbrücken, Frankfurt am Main) umzusetzen. Die Jury bestand aus Ignatz Bubis, Heinz Dürr, außerdem Jerzy Kanal, dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Salomon Korn, einem Architekten aus Frankfurt am Main, und Professor Günther Gottmann, dem Direktor des Museums für Verkehr und Technik.

Der Entwurf sieht vor, den Gleiskörper des Deportationsgleises Nr. 17 durch ein Stahlband einzurahmen. Das Band setzt sich aus 184 chronologisch geordneten Einzelobjekten zusammen, auf denen jeweils das Datum eines Transports, die Anzahl der Deportierten und der Bestimmungsort vermerkt sind. In den Entwurf wird das bereits bestehende Denkmal des Lodzer Bildhauers Karol Broniatowskis mit einbezogen sein.

Der bislang nur über eine Rampe erreichbare Ort soll von der S-Bahn-Unterführung aus zugänglich gemacht werden. Finanziert wird die Deportationsgedenkstätte von der Deutschen Bahn AG. Wie deren Pressesprecherin Anfried Baier-Fuchs mitteilte, sei davon auszugehen, daß die Umgestaltung der Rampe am Güterbahnhof Grunewald im Herbst nächsten Jahres abgeschlossen sein wird.

Bereits am 50. Jahrestag des Deportationsbeginns vor fünf Jahren wurde ein Mahnmal zum Gedenken der Ermordeten enthüllt. Der Bildhauer Karol Broniatowski hatte eine 18 Meter breite und drei Meter hohe Betontafel geschaffen, in die gehende menschliche Gestalten als Negativabdruck eingelassen sind. Als letzter Satz steht auf der Tafel: „Zur Mahnung an uns, jeder Mißachtung des Lebens und der Würde des Menschen mutig und ohne Zögern entgegenzutreten.“

Karol Broniatowski sagte damals über sein Denkmal: „Von den Menschen ist nichts geblieben, nur unser Gedächtnis. So habe ich versucht, die Nichtexistenz zu materialisieren.“

Die Deutsche Bahn AG strebt mit der Gedenkstätte eine Auseinandersetzung mit der Geschichte der Eisenbahn in Deutschland an. Deren Pressesprecherin Baier- Fuchs betonte, daß „auch gerade die Rolle der Reichsbahn im Dritten Reich aufgearbeitet werden“ solle. Zu erinnern sei daran, daß die Reichsbahnzüge bis zum Februar 1945 kontinuierlich rollten. Ziel waren die Lager der Städte Lodz, Minsk, Kowno, Riga, Trawniki, Reval, und ab Januar 1943 fuhren sie auch direkt ins Vernichtungslager Auschwitz. Zahlreiche Transporte gingen außerdem in das sogenannte Altersghetto nach Theresienstadt.

Von den über 50.000 deportierten Menschen kamen nur wenige zurück, der Großteil wurde an den Ankunftsorten entweder sofort erschossen oder wenig später erschlagen, erhängt oder vergast. Frank Fölsch