Post für Frau Herzog

■ Anwälte, Bezirksparlamente und Ausländerbeirat kämpfen für Bleiberecht von ehemaligen Vertragsarbeitern, die Innensenat trotz Bagatellstrafen abschieben will

31 RechtsanwältInnen haben Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) aufgefordert, dem Vorschlag seines Ministerkollegen und Parteifreundes Manfred Kanther zu folgen und ehemaligen Vertragsarbeitern aus Angola, Mosambik und Vietnam, die nur zu geringfügigen Geldstrafen verurteilt wurden, ein Bleiberecht einzuräumen. „Viele der ehemaligen Vertragsarbeitnehmer, die zu geringfügigen Geldstrafen verurteilt wurden, haben sich unterdessen vollständig in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert. Oft haben die Ehepartner ein gesichertes Aufenthaltsrecht und gehen geregelten Arbeiten nach.“

Im Unterschied zu Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen konnten Bagatellstraftäter in Berlin jedoch noch nicht in den Genuß der Aufenthaltsberechtigung kommen, weil sich der Innensenat weigert. Staatssekretär Kuno Böse argumentiert mit dem „schweren Grad“ der mit dem illegalen Zigarettenhandel einhergehenden Begleitkriminalität. Diese Weigerung bezeichnen die Rechtsanwälte als unverhältnismäßig und inhuman. Bislang verhinderte Bundesrecht ein Bleiberecht für diese ehemaligen Vertragsarbeiter. Am 5. September ermächtigte Kanther jedoch die Länder, bei Straftaten, die vor dem 1.6. 1993 begangen und mit bis zu 50 Tagessätzen geahndet wurden, von einer Ausweisung der Täter abzusehen. Das entspricht einer Minimalforderung von Ausländerinitiativen. Immerhin erhalten viele ein Bleiberecht, die sich in einer sozial und ausländerrechtlich unsicheren Situation auf Straftaten wie den illegalen Zigarettenhandel eingelassen hatten, heute aber integriert sind.

Die Fronten sind verhärtet. Auf der einen Seite sind CDU-Hardliner um den Innensenator davon überzeugt, daß dieses rigorose Vorgehen gegen alle, die irgendwann mit Zigarettenhandel zu tun hatten, in der Bevölkerung akzeptiert werde. Die andere Seite – Bündnis 90/Die Grünen, PDS, SPD und eine Minderheit in der CDU – hält das für unangemessen und unsozial. Sogar von „Sippenhaftung“ war die Rede. Die PDS will den Senat per Eilantrag im Abgeordnetenhaus veranlassen, nach dem Kanther-Papier zu verfahren. Abgestimmt werden könnte schon Ende Oktober. Eckhardt Barthel von der SPD hat es über den „kurzen Weg“ im Koalitionsbeirat versucht – bislang ohne Ergebnis. „Die Weigerung von Innensenator Schönbohm, von der Ermächtigung des Bundesinnenministeriums Gebrauch zu machen, ist um so unverständlicher, als Berlin im Sommer 1994 bereits eine eigenständige Härtefallregelung für Bagatellstraftaten getroffen hatte“, stellen die Anwälte fest. Davon waren sogar Täter mit Strafen von bis zu 90 Tagessätzen betroffen. Diese Regelung setzte das Verwaltungsgericht nach wenigen Monaten außer Kraft, weil sie damals gegen Bundesrecht verstieß. Die Bürgermeister Marzahns und Friedrichshains wurden durch ihre Bezirksparlamente verpflichtet, das Bleiberecht im Rat der Bürgermeister einzufordern. Ausländerbeirat Lichtenberg hat der Gattin des Bundespräsidenten eine Petition für elf betroffene Familien übergeben. Eine Entscheidung steht aus. Marina Mai