■ Selbstversuch: Im guten Anzug ins Metallica-Konzert
: Popistische Provokation

Neulich hatten wir im Kreise in inniglichster Freundschaft einander Zugetaner einen Disput über Heavy-Metal-Musik und über die 80er Jahre. Heavy-Metal-bezüglich hatten wir eigentlich alle ungefähr fast gar kein Fachwissen, aber immerhin doch jede Menge Meinung beizutragen, bei „den 80ern“ war es genau andersherum.

Das ist aber auch ein Antagonismus: Heavy Metal = T-Shirt und 80er = Anzug. Bier gegen Cocktail, Schweiß gegen Chrom-Neon. Solche Diskussionen müssen ja auch mal sein. Spaßmindernd war eigentlich nur, daß nach kurzer Zeit wir alle zu glühenden Heavy-Metal-Apologeten wurden und sorgsame Abgrenzungen gegenüber dem „Schweinerock“ vornahmen. Zu den 80er Jahren fiel uns zum Schluß eigentlich nur noch ein, daß wir genau seit 1990 nicht mehr die genauen Jahreszahlen der Fußballmeister aufsagen können, wohl aber sämtliche deutschen Meister UND Pokalsieger der 80er Jahre. Das mag mit einstigem Leistungsdenken einerseits und mit neuer Unübersichtlichkeit andererseits erklärbar sein.

Mit einem hübschen 3er-Destillat unseres lustigen Diskussionsforums machte ich mich dann am Wochenende auf zum Metallica- Konzert in der Hamburger Sporthalle. Und weil man ja auch immer mal wieder so tun muß, als führe man ein originelles Leben, zogen wir uns Anzüge bzw. Abendkleider an, was in erster Linie sehr warm war. Und in zweiter Linie kaum komisch, denn Metallica- Fans sind zwar üble Rauf- und Trunkenbolde, aber im Gottesdienst benehmen sie sich unerwartet distinguiert und sind an popistischen Ausgrenzungsritualen nicht interessiert.

In einer wogenden Masse zu stehen, die wirklich und wahrhaftig DURCHWEG schwarze T-Shirts überm zuckenden Körper aufgespannt hat, ist nicht sehr komisch. Und wegen all der 80er-Reminiszenzen darf man auch mal wieder mit dem Wort COOL umherfuchteln – COOL war das leider gar nicht mit den Anzügen, weil man ständig Angst vor Bier, Asche und Fremdschweiß durchlitt. Selber schuld. Dumm müssen wir aus unserer vornehmen Wäsche geschaut haben, dumm auch, weil das entweder gar kein Heavy Metal war oder aber wir unsere sorgsam gehüteten Klischeevorstellungen teilrevidieren müssen; und das zählt nun mal nicht zu unseren Lieblingsbeschäftigungen.

Ein stark zertobtes Mädchen erfreute mich am Bierstand mit den Worten: „Du siehst ja geil 80ermäßig aus.“ Und ging weg. Und ich blieb da und trank alkoholfreies Bier, denn nur das gab es, und jeder weiß, wie schnell man eine Lebensfreude-Bringeschuld anhäuft, wenn man alkoholfreies Bier zum Anlaß nimmt, ein wenig herumzureflektieren. Meine Freundin hatte nach dem Konzert unwiderrufliche Flecken auf ihrem schönen Kleid zu beklagen. Mein Anzug riecht nachhaltig nach Bier. Der Anzug meines Freundes ist von zigarettenverursachten Flecken und Löchlein in Mitleidenschaft gezogen, denn dieser dumme Junge ging schnurstracks direkt vor die Bühne und dachte, das sei nun metalimmanenter Protest oder so.

Ich bin gar nicht sicher, ob ich uns nicht verhauen hätte, wenn auf meinem schwarzen T-Shirt „Load“ gestanden hätte und silbriges Metal meinem Körper verstohlen aus allerlei Öffnungen entgegenlugen würde. Ich weiß aber, daß wir hernach noch einmal auf die 80er Jahre zu sprechen kamen. Und daß Metallica uns ein äußerst unangreifbares Konzertereignis bescherten. Daß wir uns wirklich, also ganz ehrlich, über das alkoholfreie Bier echauffierten, ist „ja wohl jetzt super 80er“. Schnaps ist Schnaps und mein Anzug in der Reinigung. Benjamin v. Stuckrad-Barre