■ Das Strahlenrisiko
: Streit um Zahlen

Zurückhaltung beim Röntgen ist für ungezählte Menschen lebenswichtig. Denn daß auch kleinste Dosen Krebs auslösen können, bestreitet längst kein Wissenschaftler mehr. Meinungsverschiedenheiten gibt es allerdings über die Zahlen der Röntgenopfer. Während das Bundesamt für Strahlenschutz von jährlich rund 2.000 Krebstoten durch den Einsatz von Röntgenstrahlen in der medizinischen Diagnostik ausgeht, kommen Berechnungen der Professoren Wolfgang Köhnlein aus Münster und Inge Schmitz-Feuerhake, Bremen, zu zehn- bis zwanzigmal so vielen Toten. Die Schwankungen erklären sie mit der unbekannten Altersverteilung der geröntgten PatientInnen: Je jünger ein Mensch ist, desto mehr schaden die Strahlen.

Wer nun recht hat, muß offenbleiben. Denn bis eine Krebserkrankung ausbricht, die durch Röntgenstrahlen hervorgerufen wurde, können Jahrzehnte vergehen. Der ursächliche Beweis ist nur schwer möglich.

Den Streit um Zahlen hält Professor Stender vom Radiologie-Arbeitskreis der Bundesärztekammer für „unergiebig“. Er setzt auf verantwortungsbewußte MedizinerInnen, die ausschließlich röntgen, wenn sie von der Erforderlichkeit überzeugt sind. Werde eine notwendige Aufnahme unterlassen, betont Stender, könne dies „wesentlich schwerwiegendere Folgen“ haben als das Strahlenrisiko einer nicht gerechtfertigten Untersuchung.

In die „Nutzen-Risiko-Abwägung“ müßten auch die PatientInnen einbezogen werden, empfiehlt Edmund Lengfelder, Präsident der Gesellschaft für Strahlenschutz. Ein „offenes Gespräch“, so der Münchner Professor 1995 auf dem Kongreß „Hundert Jahre Röntgen“, trage „wesentlich mehr zur Vertrauensbildung und damit zur Beruhigung der Patienten“ bei als manche ÄrztInnen, die Fragen nach dem Risiko mit „meist völlig unzutreffenden Vergleichen“ beantworteten. Besonders beliebt seien Verweise auf Höhenstrahlenbelastung durch Flugreisen oder Aufenthalt im Hochgebirge. Klaus-Peter Görlitzer