"Die Ifor-Truppen müssen bleiben"

■ Der Berichterstatter des Europäischen Parlaments für Bosnien-Herzegowina, Daniel Cohn-Bendit, über den Einsatz internationaler Truppen in Bosnien, den zivilen Friedensprozeß und die Rolle der Europäischen

taz: Was ist Ihre wichtigste Botschaft nach einer Reise durch alle Teile Bosnien-Herzegowinas?

Daniel Cohn-Bendit: Meine Botschaft schließt sich der Botschaft der Menschen in allen Teilen Bosnien-Herzegowinas an. Sowohl auf serbischer wie auf kroatischer und muslimischer Seite ist die Anwesenheit internationaler Truppen weiterhin erwünscht. Genauer gesagt: Wer glaubt, die Ifor- Truppen könnten aus diesem Land herausgehen, riskiert einen neuen Krieg. Die Vorbedingung für den Friedensprozeß ist also die Anwesenheit internationaler Truppen für die nächsten Jahre. Diese Truppen müssen so stark bleiben, daß jegliche Militäraktion von irgendeiner der bosnischen Seiten von vornherein ausgeschlossen wird.

Wer jetzt hierherkommt und keine Scheuklappen hat, der wird genau das gleiche entdecken, was auch für mich spannend und kompliziert zugleich ist: daß die Ifor eine Armee ist, die nicht im Sinne von Peacekeeping, sondern von Peacecreating agiert. Das ist gut so. Und Ifor gibt den Rahmen ab für den Friedensprozeß. Für mich entsteht aus dieser Erfahrung die Frage, wie man auf der Grundlage der Bedingungen, die Ifor geschaffen hat, einen zivilen Friedensprozeß ankurbeln kann. Und wie jetzt Projekte des gesellschaftlichen Zusammenlebens von außen unterstützt werden können.

Der deutsche Verteidigungsminister Volker Rühe will Soldaten nach Bosnien-Herzegowina schicken. Bisher sind deutsche Truppen lediglich in Kroatien stationiert. Bereitet das Ihnen als Grünem nicht Bauchschmerzen?

Die Debatte über den Einsatz deutscher Soldaten wurde auf dem Hintergrund der europäischen und der deutschen Geschichte geführt. Und das hat seine Legitimität. Ich bin in diesen Tagen aber von der Bundeswehr per Hubschrauber von Banja Luka nach Mostar geflogen worden. Die Menschen im serbisch dominierten Banja Luka und im kroatisch-muslimischen Mostar sehen in bezug auf die Ifor- Truppen keine nationalen Unterschiede. Die innerdeutsche Debatte spielt hier keine Rolle. Und die Soldaten der Bundeswehr haben, so ist jedenfalls mein Eindruck, keineswegs Lust, Krieg zu führen. Sie üben dagegen zusammen mit den Truppen aus anderen Ländern etwas ganz Neues, nämlich die Bedingungen für den Frieden zu garantieren.

Es ist faszinierend zu beobachten, daß im Rahmen der Ifor-Truppen Amerikaner, Franzosen, Deutsche, Briten und Iren, Spanier und Österreicher, Russen und viele andere Nationen gemeinsam für den Frieden tätig sind. Das gilt auch für die Europäischen Monitoren wie die Schweizer Polizisten im Rahmen der Internationalen Polizeitruppe und natürlich auch für die Europäische Administration in Mostar. Die Internationalisierung bietet die Chance, die nationalistischen Tendenzen zu konterkarieren, die in jeder Truppe stecken. Diese Leute handeln als Vertreter der Europäischen Union mit einem europäischen Bewußtsein.

Noch ist der Frieden nicht stabil, noch können die Vertriebenen nicht in ihre Heimatorte zurück, noch haben es Europa und die USA nicht geschafft, das Dayton- Abkommen völlig durchzusetzen. Wie soll es von seiten Europas weitergehen?

Um Brücken bauen zu helfen, bedarf es einer klugen Politik. Die Führung in Sarajevo muß vertrauensbildende Maßnahmen entwickeln, um allen Bevölkerungsteilen Gelegenheit zu geben, nicht nur in den Kategorien der Teilung, sondern auch in den Kategorien der Einheit zu denken. Die Öffnung der Nordgrenze nach Kroatien sollte von der internationalen Gemeinschaft unterstützt werden, die Eisenbahnen, die Straßen und die Brücken müssen wiederhergestellt werden. Es müssen Post und Telefon zwischen den Teilstaaten, den sogenannten Entitäten, wieder funktionieren. Die Gesellschaft in Bosnien wird nur dann eine zivile Gesellschaft werden, wenn wir die Bedingungen für unabhängige Medien fördern. Der Zeitungs- und der Journalistenaustausch klappen noch nicht.

Was kann das Europäische Parlament konkret dafür tun?

Die Europäische Union muß Strukturen fördern, die zu regionalen Kooperationen führen. Dabei müssen auch andere Staaten, wie zum Beispiel Albanien, einbezogen werden. Das Konzept läuft auf regionale Kooperationen innerhalb Bosniens und um Bosnien herum hinaus. Dies ist keine Jugo- Nostalgie, es geht überhaupt nicht darum, Jugoslawien wiederherzustellen, sondern eine größere regionale Kooperation zustande zu bringen. Da kann man neben der Ankurbelung der Wirtschaft Ideen entwickeln, wie zum Beispiel Städtepartnerschaften oder einen kulturellen Austausch. Dieses alles können Ansatzpunkte sein, um die Trennungen zu überwinden.

Man könnte aber auch fordern, daß diejenigen ausgeschlosen werden, die unter nationalistischem Vorzeichen den Krieg begonnen haben?

Dies war lange Zeit die Position der Grünen-Fraktion im Europäischen Parlament. Jetzt haben sich die Vorbedingungen allerdings geändert. Nun geht es doch darum, alles zu unterstützen, was die Einheit Bosnien-Herzegowinas und die Zusammenarbeit in der Region fördert. Die Schuldfrage soll vordringlich in Den Haag geklärt werden. Man muß sich immer wieder vor Augen halten: Hätte es die Ifor-Truppen schon vor vier Jahren gegeben, säßen wir jetzt nicht in diesem Schlamassel. Interview: Erich Rathfelder