Rebell gegen das CDU-Establishment

Auf dem Deutschlandtag der Jungen Union wirft ihr Vorsitzender Klaus Escher Bundeskanzler Kohl eine „richtungslose Politik“ vor und erntet dafür Kritik vom CDU-Nachwuchs  ■ Aus Görlitz Markus Franz

Rollerblades kratzen über das Parkett der Stadthalle in Görlitz. Völlig spontan hat sich eine Polonaise gebildet. Zur Begrüßung gibt es rote Rosen und Sekt. Ein Pärchen hält sich eng umschlungen. Es ist halt ein Kongreß des christdemokratischen Nachwuchses, der Jungen Union (JU). Da ist alles etwas anders als bei den Großen. Oder doch nicht? Anderthalb Stunden später: Brav erheben sich die Delegierten von ihren Sitzen, applaudieren dem Fraktionsvorsitzenden der CDU, Wolfgang Schäuble. Dieser hatte gerade eine besonders langweilige Rede gehalten, mit abgeschmackten Scherzchen über Mexiko und Warnungen vor der PDS, die er ähnlich auch vor den CDU-Senioren hätte halten können. „Unter seinem Niveau“, „langweilig“ mokierten sich die Jungschen zwar hinterher, aber wenn der Große Schäuble schon zum Deutschlandtag der Jungen Union in die östlichste Stadt Deutschlands, nach Görlitz, anreist, macht man halt gute Miene zum bösen Spiel.

Bei dem eigenen Mann lassen die Jungen dagegen alle Höflichkeit fahren. Klaus Escher, der ernsthafte, intellektuelle Bundesvorsitzende der JU, hält seine Rede zwar monoton, aber sie ist mit netten Anekdötchen und interessanten Zitaten gespickt. Der Geräuschpegel im Publikum ist laut, die Delegierten laufen raus und rein, mehrfach muß Escher um Ruhe bitten. „Hört euch bitte das Zitat von Martin Walser an“, fleht er. Der Schlußapplaus für den Vorsitzenden, der an diesem Wochenende mit 72 Prozent der Stimmen wiedergewählt wird, ist höflich. Sie wissen, daß sie Escher viel zu verdanken haben, aber sie mögen den eher introvertierten, oft mürrisch und unfreundlich wirkenden 31jährigen nicht besonders. Noch nie zuvor war die Junge Union so in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt wie unter seiner Führung. Der Jurist und Bankangestellte scheut sich nicht, die Politik der Bundesregierung als „richtungslos“ und Bundeskanzler Kohl als „Organisator von Krönungsmessen“ zu bezeichnen. Kohl mag Escher nicht besonders. Er hat ihm vor allem nicht verziehen, daß dieser gemeinsam mit dem sächsischen Ministerpräsidenten und ewigen Kohl-Widersacher Kurt Biedenkopf für eine aus Steuermitteln finanzierte Grundrente eingetreten ist. Und gerade daß Kohl Escher nicht mag, werfen viele Delegierte Escher vor. „Der feiert doch selber seine Krönungsmessen“, sagt einer mit Hinweis darauf, daß Escher der einzige Kandidat für die Vorstandswahl war.

Inzwischen ist Escher bei der Rentenfrage eingeknickt. Mühsam versucht er, daraus trotzdem einen Erfolg zu machen. Die JU-Delegierten haben seinem Spagat zugestimmt: Die beitragsfinanzierte Rente soll, wenn auch auf niedrigerem Niveau (60 Prozent des Nettogehalts), beibehalten werden. Dafür muß die Eigenvorsorge zunehmen.

Am Sonnabend morgen sind die Standing ovations ehrlich. Da hat gerade Kurt Biedenkopf geredet. Seine Rede ist auf die Junge Union zugeschnitten. Er fordert sie, er kritisiert sie, seinen ewigen Kampf gegen den ewigen Kanzler ficht er durch die Blume gleich mit. „In der Union ist man mehrheitlich der Auffassung, daß Streit schädlich für die Wiederwahl ist“, sagt Biedenkopf süffisant. Von den Jungen erwarte er mehr. Sich streiten, selbst das Unmögliche für möglich halten, nicht nur immer die anderen auffordern. Biedenkopf macht die Probe aufs Exempel: Als er die Delegierten dazu auffordert, sich für mehr Gleichberechtigung einzusetzen, fällt der Beifall spärlich aus. Biedenkopf hat's gleich gewußt: „Mit Interesse sehe ich, daß nur einige Frauen klatschen.“ Auch die Frauen in der JU müßten jetzt umdenken.

Am Nachmittag, bei der Beratung ihres Leitantrags „Deutschland zukunftsfähig machen – Regierungserklärung der jungen Generation“, schweben Biedenkopfs goldene Worte über der Versammlung. Der erste Zoff entsteht darüber, ob die Subventionen im Steinkohlebau „vollständig“ abgebaut werden sollen. Wie bei den Großen sperrt sich der Landesverband der Bergbauregion Nordrhein-Westfalen. Polemisch werden die ostdeutschen Landesverbände attackiert, die sich schon allein deshalb besonders stark für einen Subventionsabbau einsetzen, weil auch ihr Braunkohletagebau daran glauben soll. Es ist einem Berliner Delegierten vorbehalten, die Stimmung zusammenzufassen: „Wie schnell sind die Worte von Biedenkopf schon verhallt. Seit Jahren lese ich Anträge über den Abbau von Subventionen. Was ist passiert? Nichts! Wenn wir wirklich die Zukunft gestalten wollen, müssen wir an die Subventionstöpfe ran.“ Er findet Gehör: Begleitet von Jubelgeschrei stimmt die Mehrheit für den Subventionsabbau.

Am Abend brechen endgültig die Dämme. Bei einer Feier stehen alle auf den Bänken, tanzen. Bis in den Morgen hinein singen sie, leicht verfremdet, einen Refrain von der Schnulzengruppe „Smokie“: „Who the fuck is Scharping!“