piwik no script img

Neue Möbel im Feuilleton

■ Zeitungskampf in Berlin: Der "Tagesspiegel" heuerte Hellmuth Karasek als Mitherausgeber an, um Gruner + Jahrs "Berliner Zeitung" Paroli zu bieten

Seit dem 1. Oktober weiß der Mann genauer, was ihm blüht. Hellmuth Karasek (62), bis vor kurzem hauptberuflich Autor beim Spiegel und nebenher für die Bunte aktiv sowie Literaturplauderer an Reich-Ranickis grüner Seite, liest seit Monatsanfang den Tagesspiegel. Eine mittelgroße Berliner Regionalzeitung (Auflage: 132.000), die, wenn in Hamburg Meinung gemacht wurde, bislang noch nicht dazugehörte.

Die neue Lektüre hat dem Billy- Wilder-Experten nicht nur Vergnügen bereitet: „Es gab schon manche Artikel in den letzten Tagen, wo ich dachte: Geht's nicht unterhaltsamer?“ So verhalten sind die Probleme der Holtzbrinck-Zeitung selten angesprochen worden, für die Karasek ab Januar mitverantwortlich zeichnen wird.

Keine leichte Aufgabe, denn gerade der Kulturteil der Zeitung, für den Karasek zuständig sein wird, schlingert seit Jahren ohne Hausmacht und Führung herum. So gering ist der Stellenwert des Kulturteils, daß statt eines Aufmachers auch schon mal eine riesige Anzeige für „Möbel Tegeler“ erscheint. Und mitunter schreiben die verfeindeten Autoren sogar gegeneinander an wie in der letzten Sonntagsausgabe: Während Tagespiegel-Reporter Harald Martenstein den Weilheimer Lehrer Friedrich Denk, der die Schriftsteller-Kampagne gegen die Rechtschreibreform initiierte, in die rechte Ecke schrieb, wurde der von Martenstein geschmähte nur ein paar Seiten vom Literaturautoren Tilmann Krause rehabilitiert. Tenor: Männer wie Denk braucht das Land.

Um sich von dermaßen verwirrender Lektüre abzulenken, bekam Hellmuth Karasek gleich noch ein zweites Abo spendiert: Seit drei Wochen steckt auch die auflagengrößere Konkurrenz, die Berliner Zeitung (230.000 Exemplare), mit im Briefkasten. Deren seit Jahresbeginn amtierender Chefredakteur Michael Maier erregt eben mit dem Versuch Aufsehen, durch eine spektakuläre Einkaufspolitik in die erste Liga aufzusteigen. Bei Stern, Spiegel und der Süddeutschen Zeitung lief der Mann aus Wien mit dem Portefeuille des Großverlags Gruner + Jahr auf, um gute Autoren zu verpflichten. Auf diese Weise kaufte er der FAZ gleich das halbe Feuilleton weg – und zwar die bessere Hälfte, zu der auch Literaturchef Gustav Seibt (s. taz vom 12. 10.) gehört. Dem hatten auch Zeit und Tagesspiegel ihre Kulturleitung angetragen, doch Italienkenner Seibt ließ sich lieber vom diplomierten Organisten Maier als Mann für „besondere Aufgaben“ verpflichten.

„Man kann die Berliner nur zu ihren Einkäufen beglückwünschen“, sagt Hellmuth Karasek, der es bei seinem neuen Arbeitgeber ungleich schwerer haben wird. Denn mit Karasek tummeln sich beim Tagesspiegel nun sechs Köpfe in der Chefebene, die alle für verschiedene Phasen des Blattes seit der Wende stehen. Am meisten Probleme dürfte das dem Verleger und Mitherausgeber Diether von Holtzbrinck bereiten, der den damals noch unabhängigen Tagesspiegel 1992 vor der sicheren Pleite rettete, um seinem aufstrebenden Imperium (Zeit, Handelsblatt, Buchverlage Rowohlt, Fischer u.a.) eine meinungsbildende Tageszeitung zuzugesellen.

Auf über 17,5 Millionen Mark im Jahr werden Holtzbrincks Tagesspiegel-Verluste geschätzt, und ein Ende ist nicht abzusehen. Nicht zuletzt, weil dem Blatt mit der Wende wichtige Anzeigenmärkte weggebrochen sind: Im Westen macht Springers Dickschiff Berliner Morgenpost (Auflage: 181.000) oft das Geschäft, im Osten ist es Maiers Blatt, das trotz behende bröckelnder Leserzahlen noch Gewinne einfährt. Der Tagesspiegel hält zwar seine Auflage, legt dafür aber Neuabonnenten inzwischen sogar Spülmaschinen als Prämie drauf. „Es wäre jetzt nichts falscher, als nervös zu werden“, mahnt derweil Chefredakteurin Monika Zimmermann: „Andere haben Nachholbedarf, wir nicht.“ Als hätte sie ihre eigene Zeitung schon länger nicht mehr gelesen.

Auf weitere Neueinkäufe angesprochen, läßt der Dauergast im ARD-Presseclub ausrichten, daß Karasek „doch schon eine Investition“ sei. Der sieht das freilich ein bißchen anders: „Ich habe bei Holtzbrinck das Gefühl, er will mit dem Tagesspiegel noch einmal richtig was anfangen.“ Allzu lang, darf der schwäbische Verleger damit nicht mehr warten. Denn nachdem Maier die Edelfedern abgegrast hat, wildert er nun auch in der zweiten Reihe. Seit Wochen stehen selbst bei Focus die Telefone nicht mehr still.

Doch noch sind es nur die Einkäufe und nicht das Produkt, mit dem Maier Furore macht. Noch setzt er seine Vorstellung von respektlosem Journalismus fast im Alleingang um: In einem Kommentar kritisierte er sogar den Stern, der für Gruner + Jahr einen Großteil des Geldes verdient, das bei der Berliner Zeitung derzeit ausgegeben wird. Besser dürfte den Verlags-Oberen am Hamburger Baumwall Maiers unkritisches Interview mit Thyssen-Chef Vogel gefallen haben, der auch Aufsichtsratschef bei der G + J-Mutter Bertelsmann ist.

Bei den überregionalen Blättern in Deutschland wittert man derzeit noch keine Gefahr aus der Hauptstadt – auch wenn Maier sein geniales neues überregionales Vertriebskonzept preist. Es ist auch nicht eben wahrscheinlich, daß in absehbarer Zeit eine große Überregionale aus der Hauptstadt kommt. Denn mehr denn je hält sich in Berlin ein Blick, der die Probleme der Stadt für die der Welt hält. Eine Haltung, die in Dresden, Köln oder Stuttgart auf ziemlich wenig Interesse stößt.

Andererseits interessiert Überregionales in Berlin nur mäßig. In kaum einem Ballungsraum haben die großen meinungsbildenden Zeitungen so wenig Reichweite. Und bei allen Blättern ist das Lokale der Kern. Wen kümmert auch schon Afghanistan, wenn er sich in der eigenen Stadt nicht zurechtfindet und die Probleme der Welt in seiner U-Bahn en miniature vorzufinden glaubt. Vielleicht können da ja mal die neuen Großfeuilletonisten helfen. Lutz Meier

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen