Stürmische Brise aus Süd erhofft

■ 1996 stagnierte der Windenergiemarkt in Deutschland. Neue Gesetze sollen ihm wieder aufhelfen. Die Hersteller setzen auf Export. PreussenElektra steigt ein

Berlin (taz) – Der deutsche Windenergiemarkt kann nach jahren des Booms 1996 erstmals keine Zuwachsraten mehr aufweisen. Waren 1995 noch Windräder mit insgesamt 494 Megawatt Leistung neu in Betrieb gegangen, wird der Zuwachs in diesem Jahr nurmehr bei 480 Megawatt liegen. Zu diesem Fazit kommt die Forschungsgruppe Windenergie der Universität Münster in ihrem Herbstgutachten „Zur Lage der Windkraftnutzung in Deutschland“.

Nach Berechnungen des Münsteraner Geologen Norbert Allnoch hat Deutschland bis Jahresende trotzdem zum Weltmarktführer USA aufgeschlossen. Bis Ende 1996 könnten rund 1.600 Megawatt heimische Windkraftleistung zur Verfügung stehen – die USA liegen bei rund 1.650 Megawatt.

Der Anteil der Windenergie an der Stromerzeugung in Deutschland bleibt relativ gering: er liegt derzeit noch bei unter ein Prozent. Unter Ausnutzung aller Potentiale, auch der Off-shore-Nutzung, könnte er in den kommenden Jahrzehnten allerdings auf bis zu 20 Prozent ansteigen, rechnet der Verband deutscher Ingenieure (VDI) in einer Studie vor.

Technisch sollen die Potentiale schon in diesem Jahr deutlich erweitert werden. Als nächstes steht der Einstieg in die 1,5-Megawatt- Klasse bevor. Tacke, der zweitgrößte Hersteller von Windkraftanlagen in Deutschland, testet seit April dieses Jahres einen 1,5-MW- Prototyp in einem Windpark der Stadtwerke Emden. Branchenprimus Enercon will spätestens zu Beginn des nächsten Jahres gleichziehen. Die derzeitig gängigen WKA können zwischen 500 und 600 Kilowatt leisten.

Mit dem Einstieg in die 1,5-Megawatt-Klasse erhoffen sich sowohl Anlagenbauer wie Windparkbetreiber eine höhere Produktivität auf dem Markt. So soll der 67 Meter hohe Prototyp der Firma Tacke in Emden annähernd vier Millionen Kilowattstunden Strom im Jahr produzieren. Das reicht aus, um über 1.000 Haushalte über das Jahr mit Strom zu versorgen.

Die Ursachen für die sich abschwächende Windkonjunktur liegen nach Einschätzung Allnochs zu einem großen Teil bei der andauernden Diskussion um das Stromeinspeisungsgesetz. Das Gesetz garantiert den Betreibern von WKA seit 1990 die Abnahme ihres Stroms durch die jeweiligen regionalen Stromkonzern. Jede Kilowattstunde Strom wird von den Energieversorgern mit 17 Pfennig vergütet.

Die Stromkonzerne halten diese Regelung allerdings für verfassungswidrig. Weil sie im ersten Anlauf vorm Bundesverfassungsgericht gescheitert sind, suchen die Stromkonzerne nun auch nach anderen Wegen, die ungeliebte Regelung zu kippen. Der größte deutsche Atomstromkonzern, die PreussenElektra, ist dafür mit einer Beschwerde an die Europäische Kommission in Brüssel herangetreten.

Der harte Kurs der Energieversorger hat viele mögliche Investoren abgeschreckt. Investitionen in Windkraftanlagen seien immer noch Risikokapitalanlagen, warnt die Deutschen Gesellschaft für Windenergie (DGW). Auch die Banken seien durch den Stromkrieg der Konzerne in ihrer Kreditpolitik erheblich verunsichert.

Weil einige Stromversorger im küstennahen Raum die Zahlung der Einspeisevergütung nur noch unter Vorbehalt vornehmen und Konzerne wie die Badenwerke die Zahlungen sogar monatelang verweigert haben, sprechen die Windkraftfirmen inzwischen sogar von „willkürlicher Rechtsbeugung“. Ein ganzer Wirtschaftszweig werde gefährdet, der in den letzten Jahren über 10.000 Arbeitsplätze geschaffen und allein im letzten Jahr über eine Milliarde Mark Umsatz erwirtschaftet habe.

Das zweite große Investitionshemmnis für die Errichtung von Windkraftanlagen, die bauliche Planungsunsicherheit für WKA- Betreiber, ist dagegen mit der Änderung des Baugesetzbuches zum 1. Januar 1997 vorläufig vom Tisch. Bei dem Bau von Windkraftanlagen wird künftig wieder die „Privilegierung“ eingeführt, die 1994 abgeschafft wurde. Damit scheint die Zeit der willkürlichen Ablehnung von Bauanträgen durch die zuständigen Behörden vorerst vorbei. Mit dem Argument des „Wildwuchses“ und der „Landschaftsverschandelung“ hatten viele Gemeinden in den letzten zwei Jahren Hunderte von Baugenehmigungen für Windkraftanlagen verweigert. Der Bund für Landschaftsschutz (BLS) hatte die Vorbehalte der Gemeinden auf den Punkt gebracht: „Der Mensch kann nicht zwischen gigantischen Monstern leben, ohne auf Dauer Schaden zu nehmen.“

Mit dem neuen Gesetz werden die Gemeinden dazu angehalten, in ihren Flächennutzungsplänen rechtzeitig Gebiete für Windparks auszuweisen, sofern dafür eine Nachfrage besteht. Der Landesverband Mecklenburg-Vorpommern des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) fordert solche Pläne nun energisch ein. Weil einige Gemeinden kein Nutzungskonzept erstellt hätten, „versucht jeder Investor die für ihn besten Standortbedingungen durchzusetzen“, so BUND-Vorstandssprecher Björn Schering. Grundsätzlich befürwortet der BUND die Windkraftnutzung als Bestandteil einer dezentralen Energiepolitik. WKA sollten ein wesentlicher Bestandteil jedes kommunalen Energiekonzepts sein.

Die Zukunft der Windenergie liegt für die deutschen Hersteller von Windrädern trotz der wieder besseren Aussichten im Inland wohl auf internationaler Ebene. Sowohl Tacke als auch der Branchenerste Enercon exportieren ihre WKA heute ins europäische Ausland, nach Nord- und Südamerika. Während Tacke auch Indien und China mit Anlagen beliefert, ist Enercon im nächsten Jahr auch in Neuseeland dabei.

Wie lukrativ das Exportgeschäft mit der Windenergie zu sein scheint, beweist die erst im September abgeschlossene Kooperation von Enercon mit dem alten Feind PreussenElektra in Hannover. Die Windenergiefirma und der milliardenschwere Atomstromriese haben sich für die „globale Vermarktung von Windparks“ zusammengeschlossen. Man will sich auf den Exportmärkten gegenseitig unterstützen. Geplant sind erste Projekte in Osteuropa und Griechenland.

Geht es um das Exportgeschäft, sind erneuerbare Energien sogar der PreussenElektra recht: Im eigenen Land die Windkraftbetreiber einschüchtern, international aber mit gutem Gewissen die Claims abstecken. Ob bei einer solch doppelzüngigen Unternehmenspolitik die Windenergie als Gewinner aus der Enercon-Allianz herausgehen wird, muß sich erst noch zeigen. Achim Rust