Kauf nicht, und du bist gut

Das Shampoo verdünnen sie, sie duschen zu zweit, heizen wenig und geben eine Geizhalszeitung heraus: Hanneke van Veen und Rob van Eeden haben sich frei gespart. Verzichten und genießen, heißt ihr Motto. Nebenbei füllt es das Sparbuch. Ein Besuch in Den Haag beim „geizigsten Ehepaar Europas“  ■ Von Bernd Müllender

Auffällig ist, daß zunächst kaum etwas auffällt. Die Dreizimmerwohnung einer Reihensiedlung von Rob van Eeden und Hanneke van Veen ist von mittlerer Größe, nicht karg, durchaus gemütlich, kurz: normal. Und hier vegetieren die Sparphilosophen vor sich hin, das „geizigste Ehepaar Europas“? Leute, die sich in heiligem antikonsumistischem Eifer nichts gönnen, die jeden Cent dreimal umdrehen, bevor sie ihn doch nicht ausgeben?

„Viele Leute erwarten“, sagt Rob (49), beruflich als Arbeitsberater tätig, „daß wir verbittert aussehen, immer mürrisch sind und in Sack und Asche herumlaufen. Und dann sind sie ganz erstaunt.“ Hanneke (52), Psychotherapeutin, ergänzt: „Eigentlich sind wir gar nicht so anders.“

Nach zweitem Blick und erstem Gespräch fällt schon mehr auf: das, was fehlt. Hier gibt es keinen Fernseher, keine Audiobedröhungsanlage, keine überbordenden Kleiderschränke. Ein Auto haben die beiden sowieso nicht, und es ist sparsam kühl. Zeitungsabos sind abbestellt – zu lesen, sagt Hanneke, gebe es jeden Morgen genug Liegengelassenes in der U-Bahn.

Bücher werden nur noch getauscht, „mit Kollegen, Bekannten und Geizhals-Freunden“. Im Flur steht ein Stapel alter Schmöker, hier kann sich, praktische Altpapierentsorgung, jeder bedienen. Nur Kakteen gibt es überreichlich vor der großen Fensterfront. „Das paßt doch zu uns“, grinst Hanneke, „Kakteen brauchen wenig Wasser.“

Seit gut fünf Jahren leben beide radikal sparsam. 1.800 Mark gönnen sie sich im Monat – zusammen und alles inklusive. Mit ihren beiden Halbtagsjobs verdienen sie indes 6.000, „manchmal ein echtes Problem“, wie Rob sagt. Aber da wird eben gespart und der neue Enkel alimentiert. „Ich merke ein paar tausend Mark ja nicht“, sagt Rob. In zwei Jahren, sagt er, „können wir aufhören zu arbeiten. Das ist ein beruhigendes, ein befreiendes Gefühl.“

Die Möbel sind selbst restauriert, getauscht mit Freunden oder vom Sperrmüll. „Was die Leute manchmal weggeben“, sagt Hanneke, „unglaublich.“ Klamotten kaufen beide prinzipiell nur noch secondhand. „Viele Menschen sagen, sie könnten keine Hemden tragen, die andere schon mal anhatten. Aber: Im Geschäft ist eine Bluse vielleicht auch schon zehnmal anprobiert worden. Und die Chemie darin – das ist doch ekelhaft. Unsere Häuser, unsere Autos, das ist alles meist secondhand – wer da alle schon drin gelebt und drin gesessen hat...“

Bei Rob war das mit der Kleidung bis vor knapp drei Jahren noch anders, erzählt er. „Da habe ich noch reichlich gekauft. Dann hat Hanneke gesagt, ich bring dir Sachen mit. Wirklich schöne Sachen, und dann sagte sie: Die Hose war für drei Gulden, das Hemd auch, und das da für einen. Heute weiß ich selbst, wo ich einen fabelhaften Anzug, neu, für 30 Mark bekomme, einen, der sonst 500 kostet und mehr. So etwas muß ich in meinem Job tragen, ich habe zwei Anzüge und zwei Jacketts, das reicht völlig.“

Seit 1993 geben Rob und Hanneke die zweimonatliche Vrekkenkrant („Geizhalszeitung“) heraus, mit derzeit immerhin 4.000 AbonnentInnen. Sie schreiben kleine Büchlein, die auch ins Deutsche übersetzt wurden („Knausern Sie sich reich!“), und touren durch die Niederlande zu Vorträgen und Diskussionsabenden über einfaches Leben und gesunden Geiz.

Da geht es um Verzichtsphilosophie im großen bis zu kleinsten Alltagstips zwischen prinzipiell, albern und witzig: Filtertüten für Kaffee mehrfach benutzen! Den meisten Alkohol fürs Geld enthält normales Bier! Zahnpastatuben mittig durchschneiden – reicht zwei Wochen länger! Nie mit leerem Magen einkaufen gehen! Eieruhr neben das Telefon stellen! Wichtigster Tip für Geizhalsanfänger: Immer gilt es zu überlegen, ob man dieses oder jenes wirklich braucht. Wenn ein Impulskauf droht, womöglich gar spontan, so Rob, heiße der Ausweg: „Erst mal nichts tun! Verharren! Abwarten.“ Denn: „Aufgeschoben ist oft aufgehoben!“

Und wenn es dann immer noch unvermeidlich scheint, greift immer noch Hannekes Kernsatz: Alles, was man kaufen will, ist schon gekauft. Von einer Nachbarin, einem Freund. „Da kann man doch tauschen, sich helfen. Das ist außerdem kommunikativer als Shopping. In Holland gibt es vielerorts Tausch-Kreise, Talent-Börsen – daß der eine für den anderen was repariert, und der revanchiert sich mit Gartenarbeit oder Briefschreiben.“

Rob erzählt ein Beispiel vom unbedachten Kaufen: „Alle meine Kollegen haben jetzt Windows 95 auf ihrem PC. Modem mit 28.000 Baud, sind ganz stolz, klicken auf die Maus und – nichts passiert. Dann rufen sie ihren Help-Desk auf, und weiter passiert nichts. Und sie verzweifeln. Sitzen da tage- und nächtelang. Die Frau sagt, komm ins Bett. Und er sagt: Nein, ich will, daß das Ding arbeitet. Der muß mir doch gehorchen! So ein Unsinn, was wollen die alle mit den Riesenrechnern. Ich arbeite mit einem zehn Jahre alten 286er, und alles funktioniert.“

Wohnungsspaziergang. Hanneke präsentiert Waschbecken und Dusche. Hier geht das Abwasser nicht in die Kanalisation, sondern in einen kleinen blauen Spielzeugeimer – fürs Blumengießen und die Toilettenspülung. In der Küche herrschen Daunenjackentemperaturen. „Wir heizen nur, wenn wir uns hier aufhalten.“ Und das seine tue auch der Herd beim Kochen. Im Winter kommt der „Wohnmantel“ zum Einsatz, eine Art Tagesschlafsack, mit Druckknöpfen und nach unten offen. Kein Zweifel, daß diese Eigenheizung praktisch ist, am Schreibtisch wie im Wohnzimmer. Mit einigem Wohlwollen sieht sie sogar schick aus.

Ökologische Gedankengänge finden sich in ihren Spar-Büchern immer wieder. Der schönste: „Wenn man etwas putzt, macht man immer etwas anderes schmutzig.“ Ja, sagt Rob, „das ist wie ein eisernes Gesetz. Ein ,Durchdenker‘ sagt man in Holland.“ Hanneke ergänzt lebenspraktisch: „Lieber mal faul sein und schlampen. Das tut gut. Fensterputzen zum Beispiel gibt es bei uns gar nicht mehr. Das macht doch der Regen von selbst. Und in der Wohnung geht vieles ohne Putzmittel, nur mit Wasser. Das gibt dir Zeit für andere Dinge.“

Eine weitere Geizhals-Idee ist das Halbierungsprinzip: „Shampoo, Waschmittel etc.“, sagt Hanneke, „immer mit Wasser verdünnen, bis es nicht mehr geht. Dann ein kleines bißchen dazu, und du bist an der Grenze.“ Oder zu zweit duschen, „ist viel schöner.“ Und sowieso nur halb so oft duschen. Auf der Straße riefen schon mal Nachbarskinder: „Die Stinker, die Stinker.“ Rob sagt, er habe die Kleinen dann gefragt, ob ihre Opas und Omas auch Stinker waren. Warum, hätten die Kinder gefragt. Weil die nie geduscht hätten. Schließlich war das Duschen damals noch nicht erfunden.

Wie viele Stunden pro Woche muß man Geld verdienen für Ausgaben, die man nicht hätte, wenn man kürzer arbeiten würde? Rob meint, am meisten lasse sich bei Kleidung und Mode sparen, und beim Essen, vor allem unterwegs. „Wir kommen heute mit 60 Prozent der früheren Ausgaben hin. Und wir kaufen durchaus auch im teureren Bioladen.“ In der Vrekkenkrant haben sie einmal ein dreigängiges Weihnachtsmenü für 1 Mark 10 pro Person zusammengestellt. „Absolut köstlich“, sagt Hanneke. Feinschmecker hätten es so genannt: Tomatencreme an Hackhauch; Curryeier in kräftiger Rosinenwürzsauce an Schmorporreestreifen in Bruchreisrand; zartes Frischobstdessert von fein gehäuteter Kochbirne.

Geiz ist individuell verschieden, auch unter Geizphilosophen. Rob sagt, er werde „viel schneller schwach, mal irgendwas zwischendurch zu kaufen.“ Hanneke, sagt er schmunzelnd, „hat schon eine höhere Stufe erreicht. Sie ist als eine Art Heilige im Geizhals-Nirwana.“ „Ach, Unsinn, erst neulich bin ich schwach geworden mit solch einem Impulskauf. Da habe ich zwei Meisenringe mitgebracht.“ Und beide lachen sich schlapp.

Hanneke findet es bemerkenswert, „wie eifersüchtig“ viele andere Menschen auf sie reagierten. Weil diese viel mehr Geld haben und ausgeben und doch nicht hinkommen. „Wenn ich Leute in der Einkaufszone beobachte, finde ich das manchmal richtig traurig. Was da eine Zeit vertan wird, was für eine Aufregung dabei ist, ein Geschimpfe, Gemecker, die Kinder quengeln. Dieser Streß.“

Rob erzählt die Geschichte von einem Arbeitskollegen: „Der hat sich einen Porsche gekauft. Schön für ihn. Aber jetzt hat er dauernd Angst, daß was dran kommt, mehrfach war schon die Antenne abgebrochen, und er mußte in die Werkstatt. Wenn ich mich morgens um neun in Amsterdam verabreden will, fragt der erst ganz erstaunt, so früh kannst du mit dem Zug schon kommen? Und dann sagt er: Laß uns um zehn treffen, um neun komme ich mit dem Wagen nicht durch.“

Rob und Hanneke sind lebenslustige Menschen, keine verkniffenen Moralapostel und Nörgler oder von derart missionarischem Eifer zerfressen, daß sie die beidseitige Nutzung von Zahnstochern zur Rettung des Regenwaldes propagieren würden. Ihre Normalität ist ihr bestes Argument: Man kann auch ohne viel Geld, ohne Mode und Konsumrausch gut leben. Intelligent sparsam, bisweilen knausern und doch auf nichts wirklich Notwendiges verzichten.

Aber, sagt Hannecke, man könne „auch geizsüchtig werden“. Das passiere, „wenn man nicht mehr genießen kann. Wenn es nur noch ums Pfennigfuchsen geht. Das blockiert das Bewußtsein.“ Dabei könnten „schöne Kleinigkeiten“ durchaus „ein toller Luxus sein“. Und Rob sagt: „Wir haben alle unsere Bedürfnisse und Wünsche. Wir sind ja Kinder unserer Zeit. Deswegen habe ich die Geschichte mit dem Porsche erzählt. Ich würde damit auch mal fahren wollen. Zum Spaß. Aber so ein Ding besitzen? Schrecklich.“

Mit den beiden kann man über Geiz und Sparsamkeit prima lästern. Was auch naheliegt, schließlich schreibt das Klischee gerade den Holländern Geiz als Nationaltugend zu – Stichworte: Urlaub im Wohnwagen, Thermoskanne, Picknick am Straßenrand. Bloß keinen Cent ausgeben unterwegs. In Belgien erzählt man sich, zwei Holländer hätten solange um eine kleine Kupfermünze gerangelt und daran gezerrt, bis der Kupferdraht erfunden war... Robs Lieblingswitz: „Sieht ein Belgier einen Holländer mit einem Spachtel an der Wohnungstür herumkratzen. Fragt er: Was machst du da? Sagt der: Ich ziehe um, ich nehme die Farbe mit.“

Aber, sagt Rob, die Wirklichkeit ist anders: „Sparsamkeit gilt auch in Holland als Grund zum Schämen.“ Und: „Damit sind wir auch eine Provokation.“ Verzicht beruht auf Freiwilligkeit. Man muß ihn sich leisten können. Ist das Leben als Geizhals ein Luxus der Mittelschicht?

Rob dementiert. Und erzählt aus den Anfängen der Vrekkenkrant: „Wir wollten eine Zeitung machen für den durchschnittlichen Überkonsumenten. Für Gutverdiener, Mittelschicht. Aber das Erstaunliche war: So einfach ging es nicht. Plötzlich haben uns ganz arme Leute, die Unterstützung kriegen, rührende Briefe geschrieben: Endlich! Endlich! Das ist die Zeitung, auf die wir gewartet haben. Sonst steht überall nur: KaufKaufKauf! Wenn du nicht kaufen kannst, gehörst du nicht dazu. Jetzt steht da: Du bist gut, wenn du nicht kaufst.“ Und Hanneke ergänzt: „Andere schreiben: Ich habe so wenig. Aber da bin ich wenigstens ein Segen für die Umwelt...“

Zuletzt berichtet Rob von preiswerten Aufklebe-Etiketten für seine stets wiederverwendeten Briefumschläge. Da kann der Besucher sogar einen Tip geben: „Bei der deutschen Post gibt es sie umsonst, stapelweise, vor den Schaltern!“ „Wirklich?“ fragt Rob, „mit Gummierung?“ Vorsicht Bundespost: Beim nächsten Deutschlandbesuch zweier unscheinbarer Nachbarn droht ein Großraub!