Flüstern und Schreie

■ Abel Ferrara zeigt in Das Begräbnis, wie Gewalt und Sentimentalität eine Mafia-Familie zusammenschweißt

Warum nur ist Johnny Temple umgebracht worden? Wer hat die Unverfrorenheit besessen, durch diesen Mord die Familieneinheit zu zerstören? Diese Fragen beschäftigen vor allem Johnnys Brüder Ray (Christopher Walken) und Chez (Chris Penn), während Johnny (Vincent Gallo) zur Totenwache in Rays Haus aufgebahrt liegt.

Unsichere Ruhe liegt über dem Haus der Temples. Gedämpfte Stimmen beherrschen die Szenerie. Die Kinder sind zu laut, müssen ermahnt werden. Nur Chez bricht über dem Sarg in Tränen aus, scheint einen Moment lang zu explodieren, dann hat auch er sich wieder beherrscht. Ab und zu spitzt man auf die Veranda, ob auch keiner aufmerksam geworden ist, denn die Temples sind eine Mafia-Familie, gezwungen zu Vorsicht, Gefahr lauert überall.

So beginnt Abel Ferraras neuer Film Das Begräbnis. Wie ein Flüstern, hinter dem der Schrei lauert, wirken diese Szenen, und daß man zu Recht Schreie erwartet, zeigt der Fortgang des Films. In Rückblenden werden die einzelnen Figuren charakterisiert, zeigen sich Konflikte, tun sich Abgründe auf und psychische Deformationen scheinen durch. Auf diese Weise beantwortet der Film die wichtigste Frage: Was löst Johnnys Tod in seiner Familie wirklich aus?

Die Illusion von der Familieneinheit gerät tüchtig ins Wanken. Johnny, der jüngste der Brüder, erscheint nicht als loyales Familienmitglied. Er ist Kommunist und beschwört bei einer Geschäftsverhandlung einen Streit herauf, als er soziale Belange über den Gewinn aller Beteiligten stellt. Er ist aufmüpfig und respektlos, eine Kombination, die sich Gangster nicht gerne gefallen lassen. Aber er wird weiter an den Geschäften beteiligt, denn er gehört zur Familie.

Auch an anderen Ecken brodelt es. Rays Ehefrau Jean (Annabella Sciorra) erträgt das Gangsterleben nicht mehr, denkt an Trennung, was aber angesichts des zähen Leims aus Gewalt und Sentimentalität, der Gangsterfamilien zusammenhält, aussichtslos erscheint. Und Clara (Isabella Rosselini) ist durch die jahrelangen Mißhandlungen ihres Mannes Chez zermürbt. Ihre Zuflucht ist ein resignativer Glauben. Dagegen sind die Männer krank oder traumatisiert. Chez ist in quasireligiöse Vorstellungen von Moral und Familie verstrickt. Einmal will er eine junge Prostituierte dafür bezahlen, daß sie nicht mit ihm schläft – er will sie „rein“ halten. Als sie ihm dann anbietet, es ihm für eine höhere Summe zu machen, bezahlt er sie, um sie anschließend brutal zu vergewaltigen. Der scheinbar vernünftigste der Brüder ist Ray, doch seine Rationalität wird durch ein Kindheitstrauma, das es ihm unmöglich macht, aus dem Gewaltkreislauf hinauszudenken, in die Schranken gewiesen. Gewalt schweißt zusammen. Gewalt wird am Ende auch sprengen. Ferrara zeigt, wie die Zündschnur brennt.

Sven Sonne siehe Filmübersicht