Nachgefragt
: Kostenexplosion durch Verplempern

■ PatientInnen müssen versorgt werden

In Bremen könnte die obere Ausgabengrenze für Arzneimittel, das Budget von 327 Millionen Mark, im Dezember erschöpft sein (s. taz v. 23.10.). PatientInnen befürchten deshalb eine Einschränkung bei Verschreibungen. Wir fragten Peter S. Schönhöfer, Leiter des Instituts für klinische Pharmakologie am St. Jürgen-Krankenhaus.

taz: Was ist an den Sorgen der PatientInnen dran?

Peter S. Schönhöfer: Gesetzlich hat der Patient Anspruch auf ausreichende, angemessene Versorgung. Das steht im Sozialgesetzbuch. Daß das Budget nicht ausreicht, haben die Ärzte dadurch erreicht, daß sie zu Jahresbeginn zuviel verordnet haben.

Sie sagen, daß das Budget nicht ausreicht..

...das kann durchaus sein...

...sei Folge purer Verschwendung?

Wir haben im Frühjahr Anstiege im Verbrauch umstrittener Medikation gehabt, die nicht nachvollziehbar sind.

Wie stellen Sie das fest? Die Kassenärztliche Vereinigung sagt, es gebe keine verbindlichen Zahlen über die Arzneimittelausgaben für 1996.

Hier verschanzt man sich hinter dem feinen Wort „verbindlich“. Es gibt ausreichend Daten, die klare Trends zeigen, und die die Ärzteschaft auch hat. Das war bei Jahresbeginn so alarmierend, daß selbst die pharmazeutische Industrie verwundert war. Die Ärzte haben nur keine Konsequenzen gezogen.

Im Gesetz steht, daß PatientInnen ausreichend versorgt werden müssen. Worauf können sie sich konkret berufen?

Auf den Stand der medizinischen Erkenntnis hinsichtlich der im Nutzen nachgewiesenen Therapie; auf eine Therapie, die bei der Erkrankung nützt. Dies ist dokumentiert. Es gibt natürlich unendlich viele teure Therapien, die nie den Beweis ihres Nutzens geführt haben. Auf die hat der Patient keinen Anspruch, obwohl sie bisher mitfinanziert wurden; nicht anerkannte Krebstherapien beispielsweise, wo voll zu Kosten der Versicherten experimentiert wird.

Dafür kritisieren ÄrztInnen die Krankenkassen: Diese würden allerhand Fragwürdiges finanzieren, um Wettbewerbsvorteile zu erzielen.

Es passiert, daß Kassen aus Kulanzgründen zahlen. Aber der Hauptbatzen liegt bei den Ärzten. Wir wissen, daß jede vierte Mark von allen ärztlichen Verordnungskosten Präparate betrifft, die nutzlos sind. Jede dritte Verordnung in der Bundesrepublik nützt dem Patienten nicht.

Die KV hat angekündigt, sie wolle eine Liste von kostengünstigen, umsatzstarken Wirk-stoffen zur Verschreibung empfehlen. Was muß man davon halten?

Da können Sie beruhigt sein. Eine solche Positivliste, die nur Arzneimittel aufführt, deren Nutzen nachgewiesen ist, ist als Qualitätssicherung zu begrüßen. Weil sie ein gutes Instrument ist, ist sie ja vom Bundesministerium nicht in Kraft gesetzt worden. Nach Untersuchungen bei niedergelassenen Ärzten kann man zwischen 38 bis 43 Prozent der Arzneimittelaufwendungen senken, indem man auf Überflüssiges verzichtet und Preiswertes verschreibt.

PatientInnen fürchten, nach Auslaufen des Budgets nur noch Privatrezepte zu erhalten.

Wenn es sich um eine im Nutzen gesicherte und durch die Erkrankung angezeigte Thearpie handelt, darf das nicht sein. Wenn es aber ein schmückendes Arzneimittel ist, dann kann ich das nachvollziehen.

Wo können PatientInnen solche Fragen klären?

Das ist schwierig. Die nicht spezialisierten Verbraucherschutzorganisationen sind mit solch delikaten Therapiefragen überfordert, wie häufig auch der Schalterbeamte der Krankenkasse. Der medizinische Dienst bei der Kasse müßte aber zum Beraten imstande sein, ebenso das Hauptgesundheitsamt. Selbstverständlich sollte man auch das Gespräch mit dem Arzt suchen. Fragen: E. Rhode