Wer nicht kämpft, hat schon verloren

Richtig cool sein: Am Grips Theater wurde Lutz Hübners „Das Herz eines Boxers“ uraufgeführt  ■ Von Axel Schock

Jojo ist cool. Jojo nimmt alles ganz locker. Noch ein paar Arbeitsstunden, und er hat seine Jugendstrafe abgeleistet. Im Altersheim den alten Opas die Wände neu streichen – Jojo kann sich zwar Besseres vorstellen, aber wenn man richtig cool ist und sich bei der Arbeit ohnehin nicht den Arsch aufreißen will, ist das okay.

Also taucht Jojo von der „Knakki-Brigade Schöner Wohnen“ im Heim auf und gerät an einen Bewohner, den das Greisenalter offenbar ganz ordentlich mitgenommen hat. Sagt nichts, reagiert nicht, glotzt nur doof aus seinem Rollstuhl. Jojo trägt's mit Fassung. Er schleppt Farbeimer und Leiter heran, plappert drauflos und versucht vergeblich, Opa ein Wort zu entlocken: „Keine Stories aus dem Mittelalter? ,Stalingrad‘? ,Mein erster Büffel‘?“

Der komische Kauz aber ist gar nicht so verblödet, wie Jojo zunächst denkt. Nicht nur, daß er einen Schlaganfall simuliert, um nicht wegen eines etwas rabiaten Übergriffs auf einen Pfleger in die „Geschlossene“ abgeschoben zu werden. Dieser Mann ist zwar alt, aber noch ganz schön fit. Und zudem war er auch mal richtig berühmt, eine Boxerlegende: „Der Rote Leo“, wenn auch von diesem Ruhm in seiner jetzigen mausgrauen Existenz außer ein paar Fotos und den knallroten Boxerhandschuhen nicht viel geblieben ist.

Leo durchschaut den zappelig- coolen Jojo schneller, als dem lieb sein kann: Hinter der Fassade mit lockeren Sprüchen haust die pure Unsicherheit, der Wunsch, von der Clique akzeptiert zu werden. Wenn schon keine Lehrstelle und keine Freundin, dann wenigstens das Gefühl, irgendwo dazuzugehören. Und nicht einmal den Mofadiebstahl, dessen Strafe er hier nun abarbeitet, hat er wirklich hingekriegt, sondern die Schuld nur aufopfernd für den „Chef“ der Clique auf sich genommen – wofür er jetzt von allen als Trottel belächelt wird.

Ein mit Sozialkritik ganz schön überladenes Stück hätte aus dieser Ausgangssituation werden können, von Jugendkriminalität über Perspektivlosigkeit der Jugend, vom Umgang der Jungen mit den Alten und dem Leben, abgeschoben ins Altenheim, von Aggression und Männlichkeitsgehabe. Aber zum Glück hat Autor Lutz Hübner, 1964 geboren, ausgebildeter Schauspieler und Regisseur, in seinem inzwischen vierten Stück keine Thesenpapier-Sprechblasen, sondern Menschen geschaffen. So herrscht von Anbeginn an nicht Betroffenheit, sondern eine überaus heitere Stimmung. Was auch an der leichten, pointierten und zügigen Inszenierung von Thomas Ahrens liegt, die von Jazzrock- Fetzen von Helmut und Michael Brandt am Saxophon bzw. an der E-Gitarre musikalisch unterbrochen wird.

Lutz Hübners Geschichte ist letztlich die Freundschaft zweier Menschen, die sich gegenseitig aus der Resignation herauskatapultieren. „Wer nicht kämpft, hat schon verloren“, philosophiert der alte Boxer und hat doch selbst schon allen Mut aufgegeben, den „Rentnerknast“ wieder zu verlassen. Seinem neuen Freund Jojo bringt er bei, für seine erste Liebe zu kämpfen und für sein Selbstbewußtsein – ohne Springmesser und ohne harten Fausthieb. Denn boxen heißt nicht, blind draufzuhauen: „Ein richtiger Boxer ist ein Gentleman, ein Künstler, hat ein großes Herz – und keinen Haß.“ Jojo schließlich revanchiert sich mit einer „Charleys-Tante“-Nummer und schmuggelt den alten Herrn als alte Dame aus dem Heim in ein anderes, selbstbestimmtes Leben.

Der Lehrstoff dieses „Theaterstücks für Menschen ab 13“ ist deutlich, die Merksätze sind leicht zu merken. Aber die Didaktik drängt sich keineswegs nach vorn. Zudem bringen Christian Veit als Leo und Axel Prahl als Jojo so viel Lebendigkeit auf die windschiefe Bühne von Mathias Fischer-Dieskau, daß die Zuschauer vor allem eine pointenreiche, rasante Komödie erleben, die auch in den melancholischen Momenten Rührung nicht mit Kitsch verwechselt. Durchaus auch etwas für Menschen um, sagen wir, 31.

„Das Herz eines Boxers“ von Lutz Hübner, Regie: Thomas Ahrens, wieder am 31.10. und 1.11. um 11 Uhr sowie am 1./2.11. um 19.30 Uhr, Grips Theater, Altonaer Straße 22