Berliner Mieter stark in Bewegung

■ Die Zahl der Umzüge hat seit der Wende einen Höchststand erreicht. Während die Wohnungsunternehmen von einer Entspannung reden, warnen Experten vor einer neuen Wohnungsnot

Die Berliner Mieter sind in Bewegung. Im vergangenen Jahr gab es weitaus mehr Umzüge als in den Jahren zuvor. Dies geht aus der gestiegenen Fluktuation im Sozialwohnungsbestand – einem deutlichen Indikator für den Wohnungsmarkt – hervor. Die Anzahl der Umzüge pro Jahr hat demnach mit 7 Prozent im vergangenen Jahr den Höchststand seit der Wende (3 Prozent) erreicht. Während die Wohnungsunternehmen bereits von einer deutlichen „Entspannung auf dem Wohnungsmarkt“ sprechen, betont der Mieterverein dagegen, an bezahlbarem Wohnraum herrsche weiterhin Mangel.

„Früher gab es bei uns immer eine Schlange, heute müssen wir unsere freien Wohnungen inserieren“, sagt Erika Kröber, Sprecherin der Wohnungsbaugesellschaft Marzahn. Im östlichen Plattenbaubezirk ist die Fluktuation von früher 7 auf 11 Prozent gestiegen. „Wer bei uns eine Wohung sucht, bekommt auch eine“, verspricht die Sprecherin. Immerhin stünden nun erstmals 200 der 36.500 Wohnungen der Gesellschaft leer. Als Hauptgrund für die Marzahner Mieterbewegung nennt Kröber die stabilisierten Einkommensverhältnisse: „Vor allem die Besserverdienenden ziehen weg.“ Vor allem das Umland hat es dabei den umzugsfreudigen Marzahnern angetan. Dort sind mit 60.000 Wohnungen mittlerweile fast genauso viele Wohnungen neu gebaut wie die 70.000 in Berlin selbst.

Aber auch in den Innenstadtbezirken wird umgezogen wie selten zuvor. In Prenzlauer Berg beträgt die Fluktuation derzeit zwischen 8 und 10 Prozent. Hauptursache auch hier: der Wegzug in besser ausgestattete Wohnungen, insbesondere im Speckgürtel. „Vor allem bei Ein- und Zweiraumwohnungen ist die Fluktuation sehr hoch“, sagt eine Mitarbeiterin der dortigen Wohnungsbaugesellschaft WIP, die derzeit 31.000 Wohnungen vermietet. Noch 1994 sei die Umzugsrate deutlich niedriger gewesen. In Friedrichshain liegt die Fluktuationsrate mit derzeit etwa 10 Prozent genauso hoch wie 1996, teilt die Sprecherin der Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain (WBF) mit.

Bei der GSW, dem größten Vermieter der Stadt, hat sich die Fluktuation in den letzten beiden Jahren von 3 auf 8 Prozent erhöht. Als Grund nennt GSW-Mitarbeiterin Christina Pankhoff vor allem „ein größeres Angebot im teureren Segment“. Für die Westberliner Großsiedlungen, ergänzt die Sprecherin des Verbandes Berlin- Brandenburgischer Wohnungsunternehmen, Christa Fluhr, sei aber auch die zum Januar steigende Fehlbelegungsabgabe ein Grund für die steigenden Wegzüge. Allein im Märkischen Viertel habe sich deshalb die Zahl der Kündigungen verdoppelt.

Vor allzu großer Freude über die angebliche Entspannung auf dem Wohnungsmarkt warnt dagegen der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, Hartmann Vetter. Vetter betont, daß es nach wie vor zuwenig bezahlbare Wohnungen gebe. Unterstützt wird Vetter dabei auch vom Wohnungsmarktexperten des Bausenators, Dietrich Kurth. Zwar sei die Wohnungsnot weitgehend abgebaut, so Kurth, aber im preiswerten Segment herrsche noch immer erhebliche Nachfrage. Der Grund dafür liege in der „spezifischen Einkommensstruktur“ in Berlin; niedrigere Einkommen seien hier häufiger als in Hamburg oder München.

Wohnungsexperte Kurth geht unterdessen davon aus, daß sich die jetzige Situation in den nächsten Jahren nicht ändern werde. Im Zusammenhang mit dem Umzug von Regierung und Verbänden rechnet Kurth aber damit, daß sich die Lage ab dem Jahre 2000 wieder verschärfen werde. „Das betrifft sowohl die höherpreisigen als auch die preiswerten Segmente“, weiß der Bauexperte. Kurth warnt deshalb davor, die Wohnungsbauförderung trotz angespannter Haushaltslage zurückzufahren. „Wir hatten schon einmal die Situation, daß Anfang der achtziger Jahre die Förderung zurückgeschraubt wurde, und standen Ende der Achtziger plötzlich vor einer neuen Wohnungsnot“, umschreibt Kurth den „Schweinezyklus“, wie es in Fachkreisen genannt wird. Falls man die Wohnungsbauförderung nun erheblich kürze, werde die Situation in einigen Jahren sogar dramatischer als je zuvor werden, warnt Kurth. Immerhin würden in den nächsten zehn Jahren Tausende von preiswerten Wohnungen aus der Sozialbindung fallen. Uwe Rada