Kein Anlaß zur Beruhigung

■ betr.: „Terroristencode geknackt“, taz vom 10.10. 96

Da hat der Autor des Artikels wohl einmal zuwenig nachgedacht, wenn er schreibt, die „Bajuwarische Befreiungsarmee“ habe sich „offenbar selbst überschätzt“. Schließlich haben die „Bajuwaren“ geschrieben, ihr Code sei „ohne HIlfe der NSA nicht mehr ... vor den Herbstwahlen“ zu knacken. Er ist vor den Wahlen geknackt worden – aber eben mit Hilfe der NSA. Damit ist die im Artikel anklingende Schadenfreude über den „Dämpfer“ für die österreichischen Briefbomber unangebracht, im Gegenteil, der Ausgang der Geschichte läßt zwei Interpretationen zu, die beide keinerlei Anlaß zur Beruhigung bieten:

Entweder: Die „Bajuwaren“ haben geglaubt, selbst durch die NSA sei ihr Code nicht mehr rechtzeitig zu knacken. Das würde heißen: die NSA verfügt über Rechner, die in ein paar Tagen die Primfaktorzerlegung einer 243stelligen Zahl erledigen, folglich ist das legendäre Jedermann-Verschlüsselungsprogramm „Pretty Good Privacy“ (PGP) kaum mehr die Diskette wert, auf der es gespeichert ist. Ob Anschlagspläne, Daten von Steuerflüchtlingen, Liebesbriefe oder politischer Meinungsaustausch: Es würde bald auch auf dieser Seite des Atlantiks wieder dem Zugriff der Staatsgewalt offenstehen.

Oder, was wahrscheinlicher ist, die „Bajuwaren“ haben ihren Code absichtlich so gestaltet, daß er von der NSA, nicht aber von den Österreichern zu knacken war. Damit zeigen sie erneut, wie professionell diese Gruppe ist. Nicht nur für den Bombenbau, sondern auch im Bereich Mathematik/Informatik verfügt die Gruppe anscheinend über fähige Experten. Und der abgedruckte Ausschnitt aus dem Schreiben der Gruppe zeigt, daß der Verfasser zwar nicht weiß, daß George Orwell ein Sozialist war, aber dennoch offensichtlich belesen, wohlinformiert und auf perverse Art geistreich ist. Es bestätigt sich so, was eigentlich schon klar war: Man hat es mit einem intelligenten und entsprechend gefährlichen Gegner zu tun. Hinzu kommt, daß die „Bajuwaren“ anscheinend eine ziemlich genaue Vorstellung davon haben, welche Computer-Hardware in Wien und Washington jeweils herumsteht. Wer solchen Einblick ins Innere von zwei geheimen Diensten hat, muß zumindest in Wien über gute Verbindungen zu den Schlapphüten verfügen. [...] Dirk Fenske, Dortmund