■ SURFBRETT
: Wie der Kanzler wirklich denkt

Rechtzeitig zu ihrem Parteitag hat es auch die Christlich-Demokratische Union Deutschlands geschafft, sich mit einer kompletten Website im World Wide Web vorzustellen. Wieder eine Ausrede weniger, wenn die nächste CDU-Regierung versagt. Im Internet hätte man ja rechtzeitig nachlesen können, was diese Partei denkt. Die simple Adresse http:// www.cdu.de/ gehört deswegen zur Pflichtlektüre politischer Netheads. Schon auf den ersten Blick ist zum Beispiel zu erkennen, warum die Briten die Europäische Union nicht mögen. Die Webgrafiker der deutschen Christdemokraten haben mit schlafwandlerischer Sicherheit zum Ausdruck gebracht, worum es diesem angeblich so europäisch gesinnten Langzeitkanzler wirklich geht. Das CDU- Emblem besteht aus vier wolkig dahingepinselten Streifen, drei für die Nationalfarben Schwarz, Rot und Gold, der vierte ist blau und läßt gerade noch sechs der zwölf Sterne der Europaflagge erkennen. Quer darüber der Schriftzug „CDU“, optimistisch nach oben weisend: Europa von Deutschland an den Rand gedrückt, das Ganze unter Herrschaft der Christdemokraten: so soll es sein, und so kann es sogar sein, wenn die Machtmaschine, die dahintersteckt, nicht gestoppt wird.

Die Machtmaschine heißt Helmut Kohl. Nicht nur die Webgrafiker enthüllen die Wahrheit, auch der Kanzler selbst wird im Interent auf seine wahre Größe reduziert. Seine Rede auf dem Parteitag von Hannover ist in voller Länge abgedruckt. Ein großer Redner ist er nie gewesen, weswegen weder Radios noch Zeitungen diesen Text vollständig dokumentieren. Er ist eine stilistische Zumutung, aber Internet geht es nicht um Einschaltquoten, deswegen kann er hier stehen und für sich selbst sprechen. Nichts ist lehrreicher als diese völlige Abwesenheit von politischen Ideen, gar Visionen oder wenigstens Vorschlägen zur Lösung tagespolitischer Konflikte. Das größte Problem, das der Kanzler der deutschen Einheit erkannt hat, ist die PDS. Immer wieder kommt er ohne sachlichen Grund darauf zurück, denn er meint, SPD und Grüne wollten mit ihrer Hilfe an die Macht. Nichts sonst interessiert ihn, sein einziges Argument ist der langjährige Besitz der Macht. Sie macht dumm, läßt nur die klobigen Sätze zu, die dem Intellektuellen Kohl den irreführenden Ruf des Trottels eingebracht haben. Sie sagen, daß sich alles ändern muß, damit es so bleibt. Auch auf Joschka Fischer darf deshalb ein wenig trüber Glanz abfallen. Ehrlicherweise, lobt der Kanzler, gehe es dem Grünen ja auch nur um das eine. niklaus@taz.de