Legale Kurdenopposition vor dem Aus

Der Prozeß gegen die Parteispitze der prokurdischen Hadep in der Türkei bereitet das Verbot der Partei vor. Die Staatsanwaltschaft sieht in der Hadep eine „bewaffnete Bande“  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

Vor dem Staatssicherheitsgericht Ankara – zuständig für „Verbrechen gegen den Staat“ – wurde gestern der Prozeß gegen führende Funktionäre der kurdischen „Demokratiepartei des Volkes“ (Hadep) fortgesetzt. Seit dem Parteitag vor vier Monaten, an dem rund zehntausend Parteidelegierte und Parteimitglieder teilnahmen, befindet sich die Parteispitze, darunter der Parteivorsitzende Murat Bozlak, in Haft. In dem Prozeß drohen Haftstrafen bis zu zwanzig Jahren.

Gestern ordnete das Gericht an, noch einmal Videobänder des Parteitags abzuspielen, auf denen zu sehen ist, wie Maskierte die türkische Flagge einholten und durch eine kurdische Flagge und ein Poster des PKK-Führers Abdullah Öcalan ersetzten. Zwar intervenierten Parteitagsleitung und Parteispitze damals, und die PKK- Symbole und das Öcalan-Bild wurden heruntergeholt, doch die Ereignisse boten dem herrschenden Regime die Gelegenheit, die legale kurdische Opposition in Gestalt der Hadep zu kriminalisieren.

So geht es in dem politischen Prozeß – den 26 Angeklagten wird Mitgliedschaft in einer bewaffneten Bande vorgeworfen – nicht um die Aufklärung von Straftatbeständen, sondern vielmehr um ein Verbot der Hadep.

In der 96seitigen Anklageschrift will die Staatsanwaltschaft nachweisen, daß die Hadep der „verlängerte Arme der PKK“ sei. Die Parteispitze bestehe aus der „Führung einer bewaffneten Bande, die Staatsterritorien separieren“ wolle. Um diese Anklage zu „beweisen“, ist den Staatsanwälten jedes Mittel recht. Da wird angeführt, daß Transparente mit den Inschriften „Nein zum dreckigen Krieg“ oder „Es lebe die Brüderlichkeit der Völker“ auf dem Parteitag ausgebreitet wurden. Da wird die Rede des Parteivorsitzenden Murat Bozlak – „Die Kurden führen einen Kampf um Anerkennung ihrer Identität“ – zum kriminellen Delikt. Als Beweismittel gilt auch ein beschlagnahmtes Redemanuskript des stellvertretenden Parteivorsitzenden Osman Özcelik auf einem öffentlichen Symposium im Februar dieses Jahres unter dem Titel „Die kurdische Frage und ihre demokratische Lösung“. Und durch Folterung in Polizeihaft erpreßte Geständnisse von Parteimitgliedern sollen den Nachweis erbringen, daß die Partei der PKK „logistische Unterstützung“ geliefert habe.

Das Rechtsverständnis der politischen Justiz wird offenkundig bei den Beweismitteln gegen die Angeklagte Kudret Gözütok. Bei der Hausdurchsuchung der Rechtsanwältin beschlagnahmte die Polizei Prozeßdokumente. Rechtsanwältin Gözütok verteidigte Mandanten, denen Mitgliedschaft in der PKK vorgeworfen wird. Briefe ihres Mandanten und Verteidigungsreden vor Gericht sind in der Anklageschrift als Beweismittel gegen Anwältin Gözütok angeführt.

Zahlreiche deutsche Initiativen und Abgeordnete setzen sich unter anderem in Briefen an das Auswärtige Amt für Gözütok ein. Doch die Hoffnung auf deutschen Druck ist wohl vergebens. Man müsse verstehen, daß die Bundesregierung nicht den Ermittlungen der Gerichte eines anderen Staates vorgreifen könne, ließ Bundesaußenminister Klaus Kinkel mitteilen. Doch offensichtlich meint das Auswärtige Amt, daß die Hadep selbst schuld sei: „Vertreter der Hadep, mit denen die deutsche Botschaft in Ankara ein ausführliches Gespräch geführt hat, konnten nicht schlüssig darlegen, wie es auf dem Parteitag zum Austauschen der türkischen Flagge gegen die PKK-Fahne kommen konnte und weshalb die Partei sich nicht sofort und eindeutig davon distanziert hat.“

Der Hadep-Prozeß ist der vorläufig letzte Schritt bei der Zerschlagung legaler Organisationen der kurdischen Opposition. Dem Urteil gegen die Parteifunktionäre wird vermutlich das Verbot der Partei folgen. Auch die „Partei der Demokratie“ (DEP), die Vorgängerpartei, wurde verboten. Einige ihrer Abgeordneten sitzen noch immer im Gefängnis.