Bahnchef wird Immobilienhai

Bahn AG und Regierung einigen sich über Liegenschaftsverwertung. Der Bund zahlt drauf und verzichtet auf verkehrspolitischen Einfluß  ■ Von Hermann Abmayr

Noch will die Deutsche Bahn AG ihren jüngsten Deal nicht offiziell bestätigen. Doch Bahnchef Heinz Dürr ist bald Anbieter des größten Liegenschaftsimperiums in Deutschland. Er ist nicht nur Herr über die bahnnotwendigen Grundstücke und Immobilien der ehemaligen Bundes- und Reichsbahn. Im Auftrag der Bundesregierung darf er auch die „nicht bahnnotwendigen“ Liegenschaften verwerten, die laut Gesetz dem Bund gehören. Bundesregierung und Bahn AG haben dafür kürzlich eine Rahmenvereinbarung unterzeichnet.

Mit der Privatisierung der Bahn hat der Bund Anfang 1994 deren Schulden – damals fast 70 Milliarden Mark – übernommen. Als Ausgleich dafür bekam der Bund alle für den Betrieb nicht erforderlichen Liegenschaften. Aus dem Verkaufserlös sollte ein Teil der Schulden getilgt werden. Nach einem jahrelangen Poker haben sich die Bundesregierung und die Bahn AG jetzt darauf geeinigt, wem welche Liegenschaften zustehen und wie sie verscherbelt werden sollen.

Sieger im Bahnmonopoli ist Heinz Dürr. Bis auf Grundstücke und Immobilien im Verkehrswert von 13,6 Milliarden Mark ist jetzt alles Eigentum der Bahn AG. Auch viele nicht bahnnotwendige Liegenschaften, wie das milliardenschwere Areal um den Stuttgarter Hauptbahnhof, das seit Jahren kaum mehr von der Bahn genutzt wird, kann Dürr behalten. Der Bundesrechnungshof hatte sich schon mehrfach mit dem Milliardenpoker befaßt. Und er erstellte ein langes Sündenregister. Hauptvorwurf: Das „gesetzliche Kriterium der Bahnnotwendigkeit“ sei „weitgehend in den Hintergrund getreten“.

Die Bundesregierung hat Heinz Dürr damit beauftragt, auch die ihr zugeteilten Bahnliegenschaften zu verwerten. Dürr ließ dazu in Frankfurt die „Verwertungsgesellschaft für Eisenbahnimmobilien Verwaltungs GmbH“ gründen, an der die Bahn einen Anteil von 95 und der Bund einen Anteil von fünf Prozent hält. Für die Eintragung ins Handelsregister fehlt nur noch die notarielle Beglaubigung. Die neue Gesellschaft erhält vom Bund neben einer in der Wirtschaft üblichen Provision auch eine Kostenerstattung, was ihr Risiko erheblich mindert. Unüblich im Immobiliengeschäft, rügte der Bundesrechnungshof.

Ermöglicht hatte dieses Geschäft der Haushaltsausschuß im Bundestag, der den Verkauf von jeder höherwertigen Liegenschaft eigentlich absegnen müßte. Die Mehrheit der Abgeordneten hatte sich bereits vor der Sommerpause dieses Rechtes entledigt, um es an Dürrs Verwertungsgesellschaft abzutreten. Haushaltsausschuß und Bundesregierung haben auch darauf verzichtet, die bahnnotwendigen und die nichtbahnnotwendigen Liegenschaften exakt aufzulisten. Statt dessen ließ man sich mit einem Paket abspeisen, das einem Verkehrswert von 13,6 Milliarden Mark entsprechen soll.

Im Gegenzug, so kritisieren die Oppositionsparteien, soll die Bahn AG die ursprünglich vorgesehenen Zuschüsse für Neubaustrecken nicht bekommen. Der Bundestag gibt damit Gestaltungsmöglichkeiten auf die Verkehrspolitik der Bahn auf. Und der Bund kann nur noch über den Aufsichtsrat von Dürrs neuer Verwertungsgesellschaft Einfluß nehmen, in dem er drei von sechs Mitgliedern stellt.

Ob Heinz Dürr sein Immobilienvermögen und die möglichen Erlöse für den Bau verkehrspolitisch sinnvoller Projekte einsetzt, ist seine Entscheidung. Als Vorstandsvorsitzender einer Aktiengesellschaft interessiert er sich vor allem für die „share holder value“. Dürr will bei der Aktieneinführung der Bahn AG an der Börse ähnlich erfolgreich agieren wie die Telekom. Der Verkauf von Teilen seines gigantischen Liegenschaftsimperiums könnte mehr in seine Kasse bringen als der Betrieb von Zügen auf diesen Flächen.

Insgesamt plant die Bahn AG Gleisanlagen, Grundstücke und Immobilien mit einer Fläche von 1.600 Hektar frei zu machen und zu verkaufen. So soll in Dürrs Heimatstadt Stuttgart der Bahnhof untertunnelt und auf den heutigen Gleisanlagen und dem umliegenden Bahngelände eine neue Stadtmitte gebaut werden – ein Projekt, das nach derzeitiger Schätzung über fünf Milliarden Mark kostet. Und Stuttgart wird nur der Beginn sein. Rund 50 ähnlich verwertbare Liegenschaften werden geprüft.

Die Oppositionspolitiker im Bonner Haushaltsausschuß kritisieren vor allem den Schattenhaushalt, der sich hinter Dürrs Verwertungsgesellschaft verbirgt. Finanzminister Theo Waigel, so die Grünen-Abgeordnete Kerstin Heyne, könne von der Verwertungsgesellschaft 1997 und 1998 bis zu drei Milliarden Mark als Vorschuß bekommen, um seinen Haushalt zu entlasten, Geld das Dürrs Verwertungsgesellschaft – zu Lasten der späteren Verkaufserlöse – bei den Banken aufnehmen muß. Da der Bund nur einen Anteil von fünf Prozent an der Verwertungsgesellschaft hält, wäre der Deal „Maastricht-resistent“, kritisiert Haushaltsexpertin Kerstin Heyne.

Ebenso wie Heyne hält auch der SPD-Abgeordnete Hans Georg Wagner diese Konstruktion nicht nur für unseriös; sie koste auch viel Geld. Zusätzliche Grunderwerbssteuer und Notarkosten sowie die Nebenkosten für die Übertragung von Liegenschaften auf die Verwertungsgesellschaft lägen bei über 150 Millionen Mark. Die Kosten für den Milliardenkredit könnten sich deshalb mehr als verdoppeln. Dazu kommen die überhöhten Aufwandsentschädigungen für die Verwertungsgesellschaft.

Wie erfolgreich die Verwertung der Immobilien angesichts der derzeitigen Marktlage sein wird, steht ohnehin in den Sternen. Schon wird befürchtet, daß der Staat beim Verkauf seiner Bahnliegenschaften im Verkehrswert von 13,6 Milliarden Mark bestenfalls ein Drittel bekommt. Winfried Wolf, Bundestagsabgeordneter der PDS, vermutet gar, daß „ein Volksvermögen von bis zu 100 Milliarden Mark verschleudert werden soll“.