Vorwärts und 40 Jahre nicht vergessen

■ Nach dem Scheitern der Verhandlungen beginnt die IG Metall heute mit einem Aktionstag ihren Kampf für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Vor exakt 40 Jahren begann der Streik für diese soziale Errungenschaft

Berlin (taz) – Alles wird sein, wie damals. Fast jedenfalls. Auf den Tag vierzig Jahre wird der Kampf um die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall heute alt. Schwer wurde sie damals erkämpft: Gut 16 Wochen streikten Beschäftigte in Schleswig-Holstein seinerzeit für diese soziale Errungenschaft. Ein Eingriff in die Lohnfortzahlung rüttelt am Selbstverständnis der Gewerkschaften. Ab heute droht in dieser Frage ein Flächenbrand.

Beim Daimler-Konzern, bei Opel und anderswo wird es zu „verlängerten Mittagspausen“ kommen: Mit spontanen Arbeitsniederlegungen wollen die Arbeitnehmer das Scheitern des Spitzengesprächs zwischen IG-Metall-Chef Klaus Zwickel und dem Präsidenten des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Werner Stumpfe, quittieren. Zwickel präsentierte sich gestern aufgeräumt: „Unruhe und Empörung werden nicht nachlassen, solange die Arbeitnehmer befürchten müssen, daß die Tarifverträge von den Arbeitgebern zur Makulatur erklärt werden.“

Arbeitgeber und Arbeitnehmer schieben sich gegenseitig die Schuld am Mißerfolg des Spitzengesprächs über die Lohnfortzahlung in die Schuhe. Die Arbeitgeber seien noch nicht einmal bereit gewesen, über die volle Lohnfortzahlung ins Gespräch zu kommen, hieß es gestern aus der IG-Metall-Zentrale in Frankfurt. Gesamtmetallpräsident Stumpfe sei beharrlich der Meinung gewesen, kranken Arbeitern künftig nur noch 80 Prozent des Lohns zu zahlen, „sonst nichts“.

Verhandelt wurde auch über die Themen Beschäftigungssicherung, Übernahme von Auszubildenden, Urlaubs- und Weihnachtsgeld, Altersteilzeit sowie die nächste Lohnrunde. Dabei hatte es zunächst noch so ausgesehen, als würden sich beide Parteien einigen. Die IG Metall hatte ein neues Teilzeitmodell für ältere Beschäftigte vorgelegt, wonach Arbeitnehmer ab 55 Jahren zunächst fünf weitere Jahre voll arbeiten und danach für fünf Jahre zwar im Betrieb beschäftigt sind, aber freigestellt werden. Diese Idee befand Stumpfe zunächst für sinnvoll. Als dann aber das Thema Lohnfortzahlung aufgerufen wurde, vereisten die Fronten. Nach eigenen Aussagen hatte die IG Metall signalisiert, sich mit einer Lohnfortzahlung von 95 Prozent zufriedenzugeben: für Stumpfe unannehmbar. Gegenüber der taz sagte er gestern: „Wir hätten nur ein wesentlich niedrigeres Angebot akzeptiert.“ Zugeständnisse hätte Zwickel auch bei der Höhe des Inflationsausgleichs gemacht. Aus Gewerkschaftskreisen hieß es, statt 2,5 hätte man 1,5 Prozent akzeptieren können. Zuviel für Stumpfe: „Angesichts der hohen Lohnkosten mußte ich auf eine Nullrunde pochen.“

Nun wird der Konflikt auf regionaler Ebene ausgetragen. Morgen schon soll in Bayern in einzelnen Punkten der Manteltarifvertrag gekündigt werden. Werner Neugebauer, bayerischer IG-Metall-Chef, bestätigte im taz-Interview, daß auch der Passus über die Lohnfortzahlung darunter ist: „Wir wollen uns in die Lage versetzen, das Thema Lohnfortzahlung auch im Zusammenhang mit den Verhandlungen über Löhne und Gehälter anzupacken und auch arbeitskampffähig zu machen.“

Großunternehmen fürchten Umsatzeinbußen. Der letzte Streiktag bescherte dem Daimler-Konzern einen Umsatzverlust von 220 Millionen Mark. Vorbeugend beteuerte gestern eine Mercedes-Sprecherin gegenüber der taz, der Konzern denke momentan gar nicht daran, nur noch 80 Prozent zu zahlen. Zeitdruck sei durch das Scheitern der Spitzengespräche nicht entstanden. roga Interview Seite 4