Per Rad zum Staatsempfang

Anhörung des ADFC zur Fahrradtauglichkeit des Regierungsviertels. In der Hauptstadt werden die Wege kürzer als im kleineren Bonn  ■ Von Martin Kaluza

In das Staatsratsgebäude hatte gestern der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) zu einer Anhörung geladen, um darauf zu drängen, das künftige Regierungsviertel fahrradfreundlich zu gestalten. Dabei erhoffte man sich, daß das neue Regierungsviertel eine Vorbildfunktion für die gesamte Stadt übernimmt. Denn dies ist mehr als nötig: In Berlin werden derzeit nur sechs bis sieben Prozent der Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt. Im Bundesdurchschnitt sind dies elf, in anderen deutschen Großstädten verzeichnet man bis zu zwanzig Prozent. Michael Föge, Landesvorsitzender des ADFC, unterstrich, daß die geographischen Bedingungen kaum besser sein könnten: Mit einem Durchschnitt von drei bis vier Kilometern seien die Wege im Regierungsviertel durchweg kürzer als in Bonn.

So herrschte unter den angereisten Vertretern des Bundesbauministeriums, der Bauverwaltung, des Bahn-Vorstands und der Fraktionen feierliche Einigkeit darüber, daß glückliche Radler am Spreebogen der werdenden Hauptstadt gut zu Gesicht stünden. Um dies zu erreichen, werden alle Bundesbauten mit ausreichenden Abstellanlagen für Räder ausgestattet. Der Leiter des Umzugsstabs im Bundesbauministerium, Manfred Rettig (er vertrat den Umzugsbeauftragten Klaus Töpfer), kündigte an, daß 2.000 Fahrradstellplätze an den Bundesministerien und weitere 250 bis 300 rund um den Reichstag in den Plänen vorgesehen seien. Rettig: „Beamte können Fahrrad fahren und werden dies in Berlin auch tun.“ Julian Wékel, der als Ersatz für Umweltsenator Peter Strieder (SPD) gekommen war, schwärmte gar von „Staatsbesuchen, die per Rad vom Lehrter Stadtbahnhof“ ausgehen könnten und zählte dabei auf die Zustimmung der holländischen und chinesischen Gäste.

Ungewohnt optimistisch zeigte sich auch Ingo Schmitt, Staatssekretär der Verkehrsverwaltung. Er gehe davon aus, daß sich der Fahrradverkehr in der Innenstadt in Zukunft auf 15 bis 20 Prozent steigern lasse. Der ADFC nahm dies erstaunt zur Kenntnis, hatte man doch hinsichtlich solch hochgesteckter Ziele bislang gerade bei Schmitt auf Granit gebissen. Föge: „Bisher war immer von sieben Prozent in den nächsten 14 Jahren die Rede gewesen.“

Für die Ausstattung des Parlaments- und Regierungsviertels mit Radwegen und eine Anbindung an das bestehende Netz müßten bis zum Jahr 2000 etwa zehn Millionen Mark aufgebracht werden. Damit soll es in ein Netz von 350 Kilometern Hauptfahrradrouten und 310 Kilometern Nebenrouten eingebunden werden, die sternförmig vom Schloßplatz ausgehen. Obwohl dieses Netz schon beschlossene Sache ist, besteht über die Finanzierung des mit etwa 250 Millionen veranschlagten Projekts allerdings noch Ungewißheit. Schmitt: „Uns steht leider kein Haushaltstitel für Fahrradwege zur Verfügung. Das bedeutet, daß die Kosten von den Bezirken übernommen werden müssen.“

Als die Frage nach konkreten Konzepten zur Verbesserung der Fahrradfreundlichkeit aufkam, hatte die grundsätzliche Einigkeit denn auch ein Ende. So warf Gila Altmann von der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen Schmitt vor, eine Verkehrspolitik mit zweierlei Maß zu betreiben. Während man im Fall von Wasserwegen und Autostraßen davon ausgehe, daß ein großzügiges Angebot eine entsprechende Nachfrage nach sich ziehe, sei bei den Radwegen das Gegenteil der Fall. Schmitt hingegen will das Angebot an Straßen nicht verschlechtern, um Radwege auszubauen. „Wir werden nicht den Autofahrer in den Stau schicken, um ihn zum Umsteigen zu bewegen.“