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Mundart, Cajun, Heavy Shtetl: Vor 25 Jahren startete das Münchner Trikont-Label mit „gnadenloser Unterhaltung“. Wie alles weiterging, erzählt  ■ Justin Hoffmann

„Wie alles anfing“ heißt das berühmteste Buch von Trikont – drei Worte, die auch über einem Gespräch mit Achim Bergmann stehen könnten. Wenn der Chef des Verlags einmal loslegt, weiß er viel zu erzählen. Die Oral history hat zudem ihren Anlaß, wird bei Trikont doch heuer das 25jährige gefeiert.

Dabei gibt es Trikont eigentlich schon länger. Als Buchverlag wurde die unabhängige Plattenfirma von heute 1967 im Umkreis des SDS Köln gegründet und zog schon ein Jahr später nach München. Trikont liegt seither aber nicht einfach in München, sondern in Giesing, dem traditionellen Arbeiterviertel, in dem auch der Fußballverein 1860 München residiert. Fast ländlich sieht es hier, Ecke Kistler-/ Tegernseer Landstraße, aus. Ein aus groben Latten gezimmerter Holzzaun umgibt den Hof, den man erst der Länge nach durchschreiten muß, um in ein niedriges Häuschen zu gelangen, das außer Trikont einen Verband alleinstehender Mütter und Väter beherbergt. In einem betagten Schaukasten an der Straßenseite hängen statt der üblichen Verlautbarungen von Pfarrgemeinden neueste Veranstaltungsplakate: „Trikont-Events“ im Oktober. Direkt daneben das „Giasinger Schachterl“ (übersetzt: Box aus Giesing), eine funky Imbißbude der besonders deftigen Art.

Bayern und Trikont – ein Paar, das für viele heute zusammengehört. Die innige Beziehung brachte dem progressiven Aushängeschild Münchens schon mehrfach den Vorwurf des Regionalismus ein. Dabei geht es Achim Bergmann keinesfalls um die Konservierung bayerischen Brauchtums, sondern um die Repräsentation einer Kultur von unten, die er nicht zuletzt in seiner nächsten Umgebung findet. Zusammen mit seiner langjährigen Mitarbeiterin Eva Mair-Haussmann hat er etwa den rüden Anarchisten Hans Söllner und den Ex- Zitherspieler Georg Ringsgwandl herausgebracht. Um die aktuelle Ethno-Differenz-Debatte kümmern die beiden sich wenig. Auch die Auseinandersetzung um die Verwendung der deutschen Sprache, die Bergmann, vor allem im Zusammenhang mit dem Trikont- Sampler „Wo ist zuhause Mama“ (featuring Die Sterne, Lassie Singers etc.), den Vorwurf eingetragen hat, mit dem Regionalismus zugleich den Nationalismus zu schüren, ist ihnen unverständlich.

Man mag das für naiv halten. In der Tat erstaunt ein wenig, wie unbekümmert bei Trikont der Begriff „Indianer“ verwendet wird, den die Ureinwohner Amerikas in den USA heute ablehnen. Aber gegen den weit her geholten Vorwurf der Ausgrenzungspolitik oder sogar Deutschtümelei sprechen allein schon die zahlreichen Veröffentlichungen internationaler Musikanten. Kaum jemand hat sich hierzulande so massiv für Zydeco- und Cajun-Musik aus Louisiana engagiert wie eben Trikont. Aber auch ihre Mundart-Stars kommen keineswegs immer aus Bayern – im Falle der Band Attwenger aus Linz in Österreich. Trikont hat auch jüdische Musik – vom traditionellen Klezmer bis zum Heavy Shtetl – herausgebracht.

Spektakulärste Veröffentlichung ist aber eben „Wie alles anfing“, der kritische Bericht des Arbeiterjugendlichen und Stadtguerilleros Bommi Baumann hinsichtlich Studentenbewegung, Kommuneleben und bewaffnetem Widerstand um 1970. Bergmann erzählt, wie ihnen ein Mittelsmann Interviews mit dem Untergetauchten anbot. Als sie die lasen, beschlossen sie sofort, ein Buch zu produzieren. Baumann selbst hat „Wie alles anfing“ also nie so geschrieben – auch wenn die Zusammenstellung auf seinen Aussagen beruht. Bevor die Trikont-Leute das Buch herausgaben, schickten sie den Text als Kopie an etwa 100 linke Gruppen, um deren Meinung zu erfahren. Die meisten akzeptierten, während die RAF von Verrat sprach. Der Rest ist bekannt: staatsanwaltliche Ermittlungen gegen Baumann, ein schnelles, werbewirksames Verkaufsverbot ...

Trikont ist in diesem Fall eine Ableitung von „Trikontinentale“, einer revolutionären Zeitschrift aus Kuba. Der besonderen Gunst Fidel Castros ist es zu verdanken, daß der Verlag die Rechte von „Che Guevaras Tagebuch“ in Deutschland erhielt. In Zeiten, in denen die Weltrevolution vor der Tür zu stehen schien, war nicht nur das ein Hit, man pflegte bei Trikont auch engen Kontakt zu Potero Operaio und der Autonomia in Italien. Beredt weiß Bergmann von deutschitalienischen Flugblattverteilungsaktionen vor Fabrikhallen zu berichten, die unter der Hand zum Fest gerieten. Ein wenig Selbstironie würzt die Erfahrung bei einer wilden Bauerndemonstration: Wie Bergmann einmal auf einen Traktor sprang, um den Fahrer von der Kulturrevolution zu überzeugen – angeblich ist es ihm weitgehend gelungen.

Ein häufiger Gast in Obergiesing war Antoni Negri, der heute wieder viel beachtete Philosoph und Revolutionär. Entsprechend gehörten zu den ersten Veröffentlichungen des Schallplattenverlages Pino Masis „Lotta Continua“ und eine Liedersammlung von Albino, einem italienischen Arbeiter bei BMW und ebenfalls Mitkämpfer der „Lotta Continua“. Als die Revolution dann doch nicht gekommen war, rückten in der linksradikalen Bewegung ab Mitte der 70er Jahre neue Themen in den Mittelpunkt: das Private als das Politische. Ergebnisse dieser Entwicklung, Schwulenbewegung und Feminismus, beeinflußten auch das Programm von Trikont. Der Verlag veröffentlichte ein Schwulenbuch, das Label unter dem koketten Titel „Warmer Südwind“ schwule Songs sowie Aufnahmen der amerikanischen Feministin Holly Near und der New Harmony Sisterhood Band. Auch die „Frauenoffensive“ war, bevor sie sich selbst zum Verlag konstituierte, ein Trikont-Projekt. Der eigene Buchverlag sollte sich dagegen in Trikont-Dianus umbenennen und nach zunehmend esoterischen Irrfahrten schließlich 1980 kentern.

Musik aus den Staaten des Trikont spielt heute nur mehr eine geringe Rolle. Von „Weltmusik“ als Mode und Etikett will Bergmann sowieso nichts wissen. Die aktuellen Veröffentlichungen von Elomar aus Südamerika, Francis Bebey aus Afrika und verschiedenen Native Americans belegen jedoch, daß das Interesse daran nicht gänzlich verschwunden ist.

„Our Own Voice“, der Untertitel des Trikont-Schallplattenlabels, unterstreicht, was vom Erbe der Sechziger geblieben ist: der Anspruch auf relative Autonomie und die Freiheit, das zu veröffentlichen, was man gut findet. Das Jubiläum bezieht sich denn auch auf das Jahr 1971, in dem die Stimme Schallplatte wurde. Eine Drei-CD- Box („Gnadenlose Unterhaltung“) gibt einen ausgezeichneten Überblick über die vielen Veröffentlichungen. Von Ton, Steine, Scherben bis Nuts, Rocko Schamoni oder Funny van Dannen führt die Chronologie und beschreibt einen letztlich konsequenten Weg – transkontinentale Abstecher durchaus inbegriffen.