Kreml holt zu neuem Schlag gegen Lebed aus

■ Die Geheimniskrämerei um die geplante Sondereinheit des geschaßten Generals geht weiter. Experten sehen darin eine Folge allgemeiner politischer Unkultur

Moskau (taz) – Auf Befehl von Innenminister General Kulikow wurde gestern ein Paket mit Dokumenten über die Tätigkeit des störrischen Generals Lebed an die Generalstaatsanwaltschaft weitergeleitet. Darunter befindet sich auch das Projekt zur Gründung einer dem Sekretär des Sicherheitsrats unterstellten militärischen Formation mit dem Namen „Russische Legion“. Am vergangenen Sonnabend war das Dokument in der Tageszeitung Iswestija veröffentlicht worden, die die geplante Einheit als „Todesschwadron“ bezeichnete.

Als Aufgaben der Sondereinsatztruppe werden im Entwurf genannt: „Aufdeckung und psychologische Bearbeitung, Isolierung, Anwerbung oder Diskreditierung und Liquidierung von politischen und militärischen Anstiftern und Führern extremistischer, terroristischer, separatistischer Bewegungen und auch anderer Organisationen, deren Tätigkeit die nationale Sicherheit Rußlands bedroht.“

In guter sowjetischer Tradition steht hier vor allem die Formulierung „und auch anderer“. Den Kern der Truppe sollen Freiwillige aus verschiedenen militärischen Sondereinsatztruppen der Armee, des Innenministeriums und der verschiedenen Geheimdienste bilden. Außerdem heißt es in dem Papier: „Wir sollten den Veteranen der serbischen Sondereinsatztruppen die Möglichkeit geben, Rußland auf gesetzliche Weise ihre Schulden zurückzuzahlen. – Sie sollten die einzigartige Erfahrung weitergeben und mit uns teilen, die sie im Kampf mit den bosnischen Moslems und mit den Moslems anderer Länder im Partisanenkrieg errungen haben.“

Mit diesem Arbeitspapier allein kann man Lebed kaum Staatsstreichabsichten nachweisen. Er hat es nicht einmal selbst unterschrieben, machte aber auch nie einen Hehl daraus, daß er es war, der anderthalb Monate vor seiner Absetzung das Projekt dem Innen- und Verteidigungsminister zur Begutachtung vorlegte. Auf die Frage, warum Kulikow solange dazu geschwiegen habe, antwortet der Innenminister diese Woche in einem von Moscow News präsentierten Interview: „Als ich die Dokumente erhielt, habe ich meine Zweifel dem Premier vorgetragen. Ich sagte: ,Gucken Sie mal, Viktor Stepanowitsch, ist das normal?‘ Aber schließlich war das Dokument nur eine Empfehlung, weshalb er sagte: ,Das können Sie annehmen oder auch nicht.‘“ Aus dem Interview wird klar: Kulikow fürchtete sich vor jedem potentiellen militärischen Instrument in der Hand Lebeds. Aber das konkrete Gesicht der hier beschriebenen Truppe entsprach durchaus dem Denken der russischen Machtelite.

„Nachdem Lebed vom Präsidenten den Auftrag erhalten hatte, die organisierte Kriminalität im Lande zu bekämpfen, war es nur natürlich, daß er sich nach einem militärischen Instrument für diesen Kampf umsah. Wie dieses aber im vorliegenden Entwurf definiert wird – das ist bereits eine Folge der allgemeinen politischen Unkultur in unserem Lande“, meint Marina Pawlowa Silvanskaja, Historikerin und Herausgeberin der politischen Diskussionszeitschrift Pro und Kontra.

Pläne aus Regierungskreisen für ähnliche Sondereinsatztruppen seien in der russischen Presse schon häufiger erwähnt worden. Was übrigens die in dem Dokument herumspukenden „Serben“ angeht, so sieht Pawlowa-Silvanskaja, hier keine Anzeichen für deren Wirken. Mit „Serben“, vermutet sie, seien russische Freiwillige gemeint, die auf serbischer Seite kämpften. „Das ganze“, kommentiert die Historikerin, „erinnert mich an die Theorie von den ,gebrochenen Monopolen der staatlichen Gewalt‘, die Norbert Elias anhand der Weimarer Republik entwickelte. Auch im damaligen Deutschland traten immer mehr paramilitärische und quasipolizeiliche Einheiten auf, die nicht mehr vom Staat kontrolliert werden konnten. Aber bei uns ist dieser Prozeß schon weiter gediehen. Sogar Privatpersonen befehligen halbfeudale Mini-Armeen.“

Gestern leistete sich Premierminister Tschernomyrdin einen deutlichen Seitenhieb gegen Lebed und sein Projekt. In einer Rede in der Ljubjanka, dem Hauptquartier des russischen Geheimdienstes, sprach er von „einzelnen Personen oder Gruppen“, die „den Prozeß der demokratischen Umgestaltung zur Schaffung extremistischer, militarisierter, terroristischer und anderer Formationen benutzen, deren Tätigkeit den Interessen der Demokratie und des Staates widerspricht“. Der Unterschied zwischen demokratienützlichen und - schädlichen militarisierten Formationen wurde dabei nicht recht klar – ebensowenig wie in Lebeds Entwurf zur „Russischen Legion“. Barbara Kerneck