Bund muß keine Zeche zahlen

Bundesgerichtsurteil: Elsässer Brauerei bekommt keinen Schadensersatz für den deutschen Protektionismus auf dem Biermarkt  ■ Aus Karlsruhe Christian Rath

Die Bundesrepublik muß nicht für ihre protektionistische Bierpolitik büßen. Die elsässische Brauerei Fischer, die von Bonn Schadensersatz in Höhe von 1,8 Millionen Mark gefordert hatte, geht leer aus. Und das, obwohl das deutsche Reinheitsgebot sie jahrelang zu Unrecht vom deutschen Markt ferngehalten hatte. Das entschied gestern der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe.

Die Brauerei Fischer (früher: Pcheur) aus Schiltigheim im Elsaß war nie ganz groß auf dem deutschen Markt vertreten, doch Anfang der 80er Jahre gerieten plötzlich auch die bescheidenen Exporte ins Trudeln. Immer häufiger passierte es, daß der deutsche Vertriebspartner Ärger mit der staatlichen Lebensmittelkontrolle bekam. Der Vorwurf: Das elsässische Bier enthalte Zusatzstoffe gegen frühzeitige Trübungserscheinungen, die nach dem deutschen Reinheitsgebot verboten sind. Als 1981 ein Mitarbeiter der Vertriebsfirma sogar mit einem Bußgeld belegt wurde, gab diese entnervt auf. Fischer war der deutsche Markt bis auf weiteres versperrt.

Eine Beschwerde der Brauerei bei der EU-Kommission brachte dann den Stein ins Rollen. 1987 erklärte der Europäische Gerichtshof (EuGH) das gesetzlich festgeschriebene Reinheitsgebot zum unzulässigen Handelshemmnis und öffnete den deutschen Markt für ausländische Biere (siehe Kasten). In der Zwischenzeit, so rechneten die Firmenanwälte vor, hatte Fischer jedoch auf mögliche Gewinne in Höhe von 1,8 Millionen Mark verzichten müssen. Diese Summe forderte die Brauerei nun von der Bundesrepublik als Schadensersatz.

Wieder kam der EuGH zu Hilfe. Das EU-Gericht hatte inzwischen nämlich die Geldschraube als wirksames Mittel gegen renitente Mitgliedsstaaten entdeckt. So muß ein EU-Staat seit einem EuGH-Urteil im Jahr 1991 mit Schadensersatzforderungen seiner BürgerInnen rechnen, wenn er eine EU-Richtlinie nicht rechtzeitig umsetzt. Die gestrandeten UrlauberInnen der MP Travel Line waren die ersten NutznießerInnen (taz vom 9. 10. 1996).

Im März diesen Jahres ging der EuGH mit seiner Schadensersatz- Rechtssprechung noch einen Schritt weiter. Nicht nur die bloße Untätigkeit der Mitgliedsstaaten, sondern auch der Erlaß vertragswidriger Gesetze kann für die Regierungen künftig teuer werden. Anlaß für diese EuGH-Entscheidung war eine Anfrage des Bundesgerichtshofes im Falle der Brauerei Fischer. Ob nun aber die Schiltigheimer Brauerei tatsächlich in den Genuß der neuen Rechtssprechung kommen sollte, das mußte gestern der BGH in Karlsruhe entscheiden. Sein Urteil lautete klar und eindeutig: nein. Das oberste deutsche Zivilgericht nutzte dabei ein Schlupfloch, das der EuGH im Bier-Streit ausdrücklich offen gelassen hatte. Die Bundesrepublik habe nämlich in zweifacher, aber unterschiedlich gravierender Weise gegen das Prinzip des freien Warenverkehrs verstoßen.

Das Verbot, nicht nach dem Reinheitsgebot gebrautes Bier in Deutschland als „Bier“ zu verkaufen, sei „schwerlich entschuldbar“. Erheblich weniger zwingend sei es jedoch gewesen, auch das Verbot von Zusatzstoffen bei der Bierproduktion als rechtswidrig anzusehen. Diese ziemlich künstliche Zweiteilung des Rechtsproblems durch die Europarichter nahm nun der BGH zum Anlaß, alle der Brauerei Fischer entstandenen Schäden dem Verbot von Zusatzstoffen anzurechnen. Und weil dies kein qualifizierter Vertragsverstoß gewesen sei, muß die Bundesrepublik nun keinen Schadensersatz leisten.

Vielleicht aber sieht die Elsässer Traditionsbrauerei den deutschen Biermarkt seit diesem Jahr ohnehin wieder etwas freundlicher. Ihr neues Produkt „Desperado“-Bier (mit Tequila-Geschmack) hat sich nach Firmenangaben zu einem echten Renner entwickelt. So besteht also doch Grund zur Genugtuung: denn auch dieses Bier darf nur deshalb auf dem deutschen Markt verkauft werden, weil die Elsässer vor 15 Jahren den Kampf gegen den deutschen Protektionismus aufgenommen haben.