Immer noch Herbst

■ Auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld werden Mogadischu und halb vergessene "Tagesschau"-Bilder wieder wach

Plötzlich stehen sie auf dem Rollfeld und sehen aus, als wären sie direkt aus den 70er Jahren in die Gegenwart getappt: Eine Handvoll verwahrloster Gestalten in Schlaghosen, mit bleichen Gesichtern, dunklen Ringen unter den Augen, die Haare zerzaust und fettig, die Männer unrasiert. „Heute ist der fünfte Tag der Entführung, und die Leute sollen kaputt aussehen“, sagt Heinrich Breloer. Dann deutet er auf die Fenster des Kontrollzentrums des maroden Flughafen-Towers: „Da oben, das ist bei uns jetzt Dubai. Und da, wo die dunklen Fenster sind, drehen wir die Szenen in Mogadischu, wo der Wischnewski mit den Entführern verhandelt hat.“

Berlin-Schönefeld ist der letzte Drehort des Films „Todesspiel“, der nächsten Herbst in der ARD laufen soll. Die heruntergekommenen Gestalten, die aus der Maske kommen, sind Statisten, die in Breloers Film zu Tode erschrockene Fluggäste an Bord der Landshut mimen. Knapp 20 Jahre nach dem Deutschen Herbst dreht Breloer einen Zweiteiler über die Ereignisse, die 1977 die Bundesrepublik für einige Wochen in eine Art Polizeistaat verwandelten: Die Entführung von Hanns Martin Schleyer durch die RAF, die Odyssee der Lufthansa-Maschine Landshut und deren Erstürmung durch die GSG 9 in Mogadischu, der Tod von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe im Hochsicherheitstrakt in Stammheim in derselben Nacht.

Die Ereignisse von 1977 gehören bis heute zum unbewältigten zeitgeschichtlichen Erbe der Bundesrepublik. In Breloers Film kommt der Deutsche Herbst nach zwanzig Jahren zurück. Wenn man von weitem auf das umgespritzte Flugzeug blickt, (das aus derselben Baureihe wie die Landshut stammt und eigentlich einer indischen Airplane gehört), könnte man fast vergessen, daß man auf dem alten Ost- Berliner Flughafen steht. Verschwommen kommen halb vergessene, schwarzweiße „Tagesschau“- Bilder wieder hoch: von dem entführten Flugzeug auf dem Wüstenflughafen, von dem erschossenen Piloten Jürgen Schuhmann, der aus dem Fenster des Cockpits geworfen wird, von der Entführerin Souheila Andrawes, die mit blutverschmiertem Che-T-Shirt und geballter Rotfront-Faust von GSG-9-Männern aus dem Flugzeug getragen wird.

Lange hat Breloer über den deutschen Terrorismus recherchiert. Mit 50 Zeitzeugen hat er Interviews geführt – darunter Helmut Schmidt, Hans-Jürgen Wischnewski, Klaus Bölling und Horst Herold, der aus Angst vor Terroristen noch heute völlig isoliert in einer Kaserne des Bundesgrenzschutzes wohnt und Breloer anvertraute: „Hier kommt niemand vorbei, nur um mal Canasta zu spielen.“

Ausschnitte aus den Interviews schneidet Breloer in die inszenierte Spielhandlung, um die Geschichte mit den authentischen Protagonisten von damals zu konfrontieren. Selbst die Landshut- Entführerin Souheila Andrawes, die jetzt in Hamburg vor Gericht steht, besuchte Breloer vor der Verhandlung in ihrem Exil in Norwegen. Gewinnt er durch die Gespräche neue Erkenntnisse, wird das Drehbuch auch noch in letzter Minute aktualisiert.

Für die Szenen in der Landshut, müssen sich außer den 85 Statisten sieben Schauspieler und ein Team von 15 Mann in das enge Flugzeug quetschen. Nur eine kurze Schiene konnte Kameramann Hans Günter Bücking im Gang zwischen den Bänken auslegen, um an den Fluggästen entlangzufahren. Vor den Flugzeugfenstern filtert Frostschutzfolie das Scheinwerferlicht von draußen für die Nachtszene. Denn in der Nacht dreht es sich auf dem Flughafen am besten, weil dann weniger startende und landende Flugzeuge durch die Aufnahmen dröhnen.

Um die Szenen im Flugzeug so authentisch wie möglich zu machen, hat Breloer Gaby Dillmann an den Drehort geholt, die damals 22jährige Stewardeß, die sich in der Landshut vor die Passagiere stellte. Sie erzählt den Schauspielern, wie es damals an Bord der Landshut war. Und steht plötzlich ihrem jungen Ich von 1977 gegenüber, wenn sie die Schauspielerin Susanne Schäfer durch das Flugzeug laufen sieht, die in Breloers Film die Gaby Dillmann spielt. Manchmal muß sie dann für ein paar Minuten nach draußen gehen, wenn die Erinnerungen zurückkommen. Breloer nennt das Flugzeug „einen begehbaren Alptraum“. Und während eine Schauspielerin im Spiegel ihr Make-up überprüft, baut ein Techniker einen Turm von Scheinwerfern auf, die das Innere der Landshut in ein fahles Licht tauchen sollen. Tilman Baumgärtel