Wo steckt John?

■ Ab Montag letzte Verkaufsanstürme: Die Beatles-„Anthology 3“ ist da!

Der vielgeschmähte Albert Goldman hat's als erster aufgeschrieben. „War er denn nicht einer der größten Rhythmusgitarristen der Rockgeschichte?“ fragt er in seiner Lennon-Biographie von 1988 rhetorisch, und dann kommt's: „Man hört Paul am Bass, George auf der Leadgitarre, Ringo am Schlagzeug – aber wo steckt John? Erst Jahre später, als er anfing, allein zu spielen, und als seine alten Probeaufnahmen aus der Versenkung auftauchten, konnte man Johns Fähigkeiten als Gitarrist beurteilen. Dabei wurden zwei Dinge unverkennbar klar: Er spielte mit einer eisernen Starrheit der Finger, die an die Parkinsonsche Krankheit erinnert, und wenn er mehr als rudimentäre Akkordgriffe machte und sich auf die einfachsten melodischen Akkordfolgen einließ, verriet er tolpatschige Ungeschicklichkeit.“

Wer sich als Fan nicht schon in den Achtzigern eines der schwarz kursierenden „Rare-Tracks“-Alben zulegte, kann sich auf „Anthology 3“, dem am Montag erscheinenden letzten Teil der autorisierten Beatles-Volksausgabe, noch einmal von der Richtigkeit dieses Urteils überzeugen. Man mag es nicht glauben, daß aus dem staksigen Geklampfe, das Lennon gleich zu Anfang liefert (ein nachträglich aufaddiertes Gimmick-Stück gibt es diesmal nicht), einmal das Wahnsinnsteil „Happiness Is A Warm Gun“ erwachsen sollte.

Dreht man das Ganze allerdings um 180 Grad, ergibt sich über die Ödnis solcher im engeren Sinne musikantischen Überlegungen hinaus ein Umkehrblick auf die Leistungskraft des Beatleskosmos, der sich hier ein letztes Mal (1970 war ja Schluß) an seine schon spürbaren Grenzen hochheizt. Alle haben im Grunde genug von der Sache: Lennon will lieber Warhol sein, McCartney powert seine Evergreens durch, Starr nimmt sich zusammen. Bindemittel sind Rock-'n'-Roll-Rückstände, überlieferte Momente des britischen Nonsens und der Rekurs auf eine in der englischen Kunsthochschule heruntergefilterte europäische Avantgarde.

So kurz vor dem Ende einer Dienstfahrt schneidet am besten George Harrison ab, der als ewig Zukurzgekommener ein wenig tragisch die Fackel der Beatles-Tugenden weiterträgt. Das leise Weinen seiner Gitarre funktioniert auch unplugged, während ansonsten die Vektoren high- wie lowartifiziell auseinanderstreben: müde die Medleys, gespenstisch die um alles Drumherum beraubten Chorsätze von „Because“ (irgendwo zwischen Bach und den Prinzen), spekulativ traurig „The End“, das die Bandgeschichte mit der Behauptung, die Liebe, die man gibt, sei gleich der, die man erhält, als kosmologisches Nullsummenspiel zusammenfaßt.

Das Wetter: letzte Verkaufsanstürme erwartet bei schon erkalteter medialer Anteilnahme. Spätgeborene erstehen den Schlußstein einer verpaßten Ära, der Rest darf die Bits and Pieces noch einmal durch die feinen Barten der Kennerschaft filtern. Bis zur historisch- kritischen Gesamtausgabe im Jahre 2003 ist erst mal Ruhe. Happy Xmas, war is over. Thomas Groß

Beatles: „Anthology 3“

(Apple/EMI)