Studieren in Hetze

■ Viele Stolpersteine liegen auf dem flotten Weg zum Examen

Vor vierzig Jahren war der Olympische Gedanke an den Universitäten noch etwas wert. „Dabeisein ist alles“, hieß es damals: Wer die Universität geschafft hatte, hatte es geschafft. Auf gute Examensnoten und kurze Studienzeiten kam es nicht an. Akademikerarbeitslosigkeit gab es kaum.

„Höher. Schneller. Weiter. Mehr.“ – Diese Forderung von Politikern und Arbeitgebern zählt heute. Die Studierenden sollen sich während des Studiums vielseitig qualifizieren. Sie sollen im Ausland lernen. Sie sollen durch Praktika den Kontakt zur Arbeitswelt herstellen. Sie sollen mit Bestnoten abschließen, am besten sogar promovieren. Doch das Wichtigste ist: Das alles muß schnell geschehen. Älteren Semestern wird gedroht: „BummelstudentInnen schickt der Arbeitgeber gleich die Bewerbungsunterlagen zurück.“

So ein Klima zeigt Wirkung: Immer mehr Studierende wollen ihre Unilaufbahn schnell hinter sich bringen. Das beweisen Untersuchungen der Universität Konstanz. Während 1983 knapp ein Viertel der befragten westdeutschen StudentInnen angab, das Studium möglichst rasch abschließen zu wollen, waren es 1995 schon mehr als ein Drittel. Allein, es gibt genügend Steine auf dem schnellen Weg zu Diplom, Magister oder Staatsexamen, die die StudentInnen ins Stolpern bringen.

Eine Studie der Universität Mannheim zeigt: Wer Bafög bekommt, studiert schneller. Mehr staatliche Förderung bringt mehr Abschlüsse innerhalb der Regelstudienzeit. Die Mannheimer befragten 750 Betriebswirte, die zwischen Oktober 1991 und März 1993 ihr Studium abschlossen. Auslandsaufenthalte und Studienortwechsel, so ergab die Studie, schraubten die Semesterzahl in die Höhe.

Die Crux dabei: Leistungen, die im Ausland erbracht werden, erkennen deutsche Hochschulen nicht immer an. Häufig verlängert ein Jahr in der Ferne auch das Studium um ein Jahr. Auslandsaufenthalte sind jedoch bei den zukünftigen Arbeitgebern gerne gesehen. Sie stehen für Weltoffenheit und Flexibilität, Sprachkenntnisse und vielseitige Qualifikation.

Bei einem Studienortwechsel geht oft ein Semester verloren. Selten liegt das an Zimmersuche und Umzug. Unterschiedliche Studienordnungen führen dazu, daß manche Scheine am neuen Studienort nachgeholt werden müssen. So erging es Antje Fischer. Sie wechselte im Fach Germanistik von der Uni Bonn an die FU Berlin. „Obwohl ich das Zeugnis über das abgeschlossene Grundstudium aus Bonn in der Tasche hatte, mußte ich zwei Scheine in Mittelhochdeutsch nachholen“, sagt sie, „Dafür hatte ich andere Scheine völlig umsonst gemacht. Das Bonner Zeugnis wurde einfach nicht anerkannt.“

Josef Lange, Generalsekretär der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), fordert mehr Flexibilität von den Universitäten bei der Anerkennung von Leistungen: „Einige haben einen sehr verengten Maßstab. Sie sollten den Lehrerfolg an einer anderen Hochschule akzeptieren.“ An manchen Universitäten sei auch eine schlechte Abstimmung des Lehrangebotes Schuld an Verzögerungen: Kurse, die im selben Semester besucht werden müssen, fänden beispielsweise parallel statt. Und selbst wer sich voll darauf konzentriert, durchs Studium zu flitzen, dem macht das Prüfungsbüro einen Strich durch den Zeitplan. Gabriel Seiberth hat Politikwissenschaft an der FU studiert: „Nach sechs Semestern hatte ich alle Scheine zusammen“, sagt der 23jährige, „aber ich mußte die Mindeststudienzeit von sieben Semestern einhalten.“ Politologen, erzählt er, dürfen sich frühestens im siebten Semester zur Prüfung anmelden. Also machte Gabriel noch ein Praktikum, fühlte sich jedoch dadurch aus seiner Prüfungsvorbereitung herausgerissen.

„Eine gesetzliche Mindeststudienzeit gibt es nicht“, sagt dazu Kerstin Schneider, Pressesprecherin des Berliner Wissenschaftssenators, „Es wird aber davon ausgegangen, daß in wissenschaftlichen Fächern mindestens sieben Semester nötig sind.“ Josef Lange von der HRK will das nicht einsehen. Seiner Meinung nach sollen Studierende zur Prüfung zugelassen werden, wenn sie alle Kriterien erfüllen: „Ich darf doch nicht jemanden bestrafen, der pro Semester sechzig Stunden statt vierzig gelernt hat.“ Lennart Paul