■ Querspalte
: Abstruses Ansinnen am Abend

Jeder Mensch braucht im Leben etwas, das ihn auf dem Boden der Wirklichkeit hält. Das ihm in der gegenwärtigen Ära überbordender Eindrücke sinnstiftend zur Seite springt und ihn auf das eigentlich Wesenhafte zurückführt. In der Sorge, man habe ständig mit irgendwelchen Katastrophen zu rechnen, ist ein Gefühl der Beständigkeit quasi unverzichtbar. Weil morgen schon alles anders sein kann, als es heute ist, muß es – im Bewußtsein unserer gesellschaftlichen Verantwortung – Dinge geben, die bleiben.

Man führe sich einmal vor Augen, wie hilflos wir sind, wenn man uns der Stützen beraubt, mit denen wir uns – zeitplanerisch und strukturierend betrachtet – durch den Tag hangeln. Es sind diese kleinen Rituale, die uns daran hindern, in tiefe Depression zu versinken oder ständig nach dem Warum zu fragen.

Um so bestürzender ist es, von dem Ansinnen einer Vereinigung zu hören, die nicht dafür bekannt ist, daß sie mit Lust Errungenschaften unseres Gemeinwesens schändet. Rücksichtslos hat sie sich kürzlich gegen eine Institution gewandt, die in ihrer Musterhaftigkeit beispiellos ist. Bei deren allabendlichem Erscheinen unser Blick das Unstete verliert, und die stärker als alles andere die Vergänglichkeit des Menschen einerseits und die Überlebensfähigkeit kultureller Identität andererseits symbolisiert, in dem sie sich seit 44 Jahren immer zur gleichen Zeit am selben Ort zurückmeldet. Dagegen ist, was uns just dieser Tage als Kontinuität vorgegaukelt wird – die 14jährige Vorherrschaft aus der Pfalz –, nur eine bedauerliche Stippvisite in der Geschichte.

Der Mensch arbeitet, kauft ein und sieht dann fern. Sieht er fern, kauft er nicht ein. Da der Einzelhandelsverband mit diesem gesunden Rhythmus vertraut ist, fordert er nun im Zuge der verlängerten Ladenöffnungszeiten, daß die Tagesschau ihre Sendezeit von 20 Uhr auf 21 Uhr verlege. Wie jeder Anschlag auf unsere Werte ist dies ein absonderliches Ansinnen, das – wir müssen es in aller Schärfe sagen – nicht den Geruch des Sittenwidrigen entbehrt. Bascha Mika