Polens Bauernpartei schert aus

Der kleinere Partner in der Regierungskoalition stimmt zum zweitenmal mit der Opposition. Nach dem Abtreibungsgesetz geht es nun um die Neuregelung der Steuersätze  ■ Aus Warschau Gabriele Lesser

„Hat die Regierungskoalition überhaupt noch einen Sinn?“ Diese Frage stellten sich die politischen Kommentatoren Polens gestern abend. Die Bauernpartei (PSL), Teil der Koalition, hatte in zwei Abstimmungen gegen die Regierungsvorlage und mit den Oppositionsparteien gestimmt. Im Falle der Liberalisierung des Abtreibungsgesetzes hatte das den Koalitionspartner, das postkommunistische Bündnis der demokratischen Linken (SLD), nicht übermäßig gestört, da in dieser Frage alle Parteien geteilter Meinung waren und die Regierungsvorlage ohne größere Probleme durchkam. Bei der zweiten großen Abstimmung an diesem Tag aber rechnete niemand damit, daß „die Bauern“ abspringen könnten.

Die über Wochen diskutierte Neuregelung der Steuersätze, die sorgfältig ausgearbeiteten Statistiken über die Folgen für den polnischen Staatshaushalt, wurden innerhalb von Minuten zu Makulatur. Gegen den Willen von Finanzminister Grzegorz Kolodko beschloß der kleinere Partner in der Regierungkoalition zusammen mit den Oppositionsparteien einen neuen Niedrigsteuersatz für rund 60 Prozent aller Steuerzahler. Ministerpräsident Cimoszewicz stürmte totenbleich ans Rednerpult: Das verabschiedete Gesetz sei „populistisch und demagogisch“, griff er den Koalitionspartner an und fragte, ob sich die Abgeordneten überhaupt Gedanken über die finanzielle Absicherung gemacht hätten. Das Gesetz sei verantwortungslos gegenüber dem Staat und ein reines Wahlkampfgeschenk an die Steuerzahler. Auch die Abgeordneten der oppositionellen Freiheitsunion (UW) hätten sich kompromittiert. Erst kritisierten sie die hohen Steuersätze für Besserverdienende in der Regierungsvorlage, und jetzt schrieben sie zusammen mit dem Niedrigsteuersatz für Schlechterverdienende genau diese hohen Steuern für das nächste Jahr fest.

Das überraschende Steuergeschenk wird, so rechneten Experten aus, ein Loch von bis zu 4 Millarden Zloty (2,35 Milliarden Mark) in den Staatshaushalt reißen. Die von ihrem Erfolg gegenüber dem größeren Koalitionspartner selbst überraschten „Bauern“ wiegelten ab: Nein, die Koalition werde nicht zerbrechen. Sie wollten auch keine neue eingehen. Das Gesetz sei ja noch nicht in Kraft. Erst müsse es noch den Senat passieren. Und dort säßen schließlich auch PSL-Senatoren. Offensichtlich spekulieren die „Bauern“ inzwischen darauf, daß der Senat das Gesetz ablehnt. Dann käme es zurück in den Sejm und müßte erneut debattiert und entschieden werden. Im fernen London wurde der polnische Staatspräsident Aleksander Kwasniewski auf die Regierungskrise in Warschau angesprochen. Er zitierte seufzend einen westlichen Politiker, der in einer ähnlichen Lage gesagt haben soll: „Feind, Todfeind, Koalitionspartner.“ So eine kleine Regierungskrise komme in den besten Demokratien vor, meinte Kwasniewski. Das sei kein Grund zur Beunruhigung.