■ Die Großrazzia gegen Umweltsünder brachte es ans Licht: Die Sondermüllbranche wird nicht nur von einigen schwarzen Schafen um ihren guten Ruf gebracht. Sie macht es den illegalen Absahnern geradezu leicht, Kontrollen zu umgehen.
: Sondermül

Die Großrazzia gegen Umweltsünder brachte es ans Licht: Die Sondermüllbranche wird nicht nur von einigen schwarzen Schafen um ihren guten Ruf gebracht. Sie macht es den illegalen Absahnern geradezu leicht, Kontrollen zu umgehen.

Sondermüll brennt auch ohne Beleg

Die Razzia in Sachen „Giftschlamm zu Brennstoff“ traf die Marktführer der Sondermüll- Branche. Drei Lkws voller Ermittlungsmaterial hat die Berliner Umweltkripo allein bei der lokal etablierten Firma Boeck & Co GmbH Kanal- und Rohrreinigung KG requiriert. „Wir haben die Firma Boeck sorgfältig geprüft, uns ist nichts aufgefallen“, so Berend Wilkens. Herr Wilkens ist technischer Leiter der Sonderabfallgesellschaft Brandenburg Berlin (SBB) in Potsdam und damit für die Vergabe von Aufträgen an Entsorger in beiden Ländern zuständig.

350.000 Tonnen Sondermüll im Jahr fallen allein in Berlin und Brandenburg an. Die Transporteure der giftigen Fracht müssen eine Lizenz beantragen, sie müssen den Landesumweltämtern Pläne ihrer Anlagen vorlegen und Nachweise führen, wohin der Giftmüll geht. „Wenn die Entsorger kriminell Belege fälschen, kann die Verwaltung damit allerdings nur schwer umgehen, so Wilkens. „Dagegen kommen sie nur mit der Kriminalpolizei an.“

Die schlug zwar nach einjährigen Ermittlungen bei 118 Objekten in 14 Bundesländern zu – darunter bei der Berliner Boeck GmbH & Co KG, bei WAB in Balve (NRW), im niedersächsischen Syke und bei der Reststoff GmbH in Hamburg. Der Geschäftsführer der Syker Firma, Lüdeke Willenbruch, und sein Berliner Geschäftspartner Dr. Ansgar Jungehülsing sitzen nach Informationen des NDR-Magazins „Panorama“ in Untersuchungshaft.

Die Sondermüllbranche wird jedoch nicht nur von einigen schwarzen Schafen um ihren guten Leumund gebracht, sie macht es den illegalen Absahnern geradezu leicht. Beispiel Kontrollbelege: Jeder Transport erhält einen Begleitschein in fünffacher Ausfertigung für alle beteiligten Firmen und Behörden. „Wir haben in Berlin und Brandenburg etwa 10.000 Erzeuger von Sondermüll. Da fallen im Jahr schnell 100.000 Begleitscheine an“, rechnet Wilken vor. Die müßten im Prinzip von den zuständigen Umweltbehörden bilanziert werden, um Betrug zu vermeiden. Die haben dafür aber nur etwa ein Dutzend Leute. Also beschränken sich die Ämter auf Stichproben.

Selbst wenn in einem konkreten Fall ein Beamter den Transport einer Firma genau verfolgen will, muß er abwarten, bis die betreffenden Belege aus verschiedenen Behörden bei ihm eintrudeln: Wenn Erzeuger, Transporteur, Aufarbeiter und zum Beispiel die Verbrennungsanlage in verschiedenen Bundesländern sitzen, sind die Scheine auf entsprechend viele Ämter verteilt. Außerdem hat ein Entsorger meist einige Anlagen zur Behandlung giftiger Stoffe. Bis zu 150 Anlagen zur Trennung von Ölgemischen, von Bodenrecycling oder zur Müllverbrennung stehen in einem einzigen Bundesland – für die Kontrolleure ein schwer durchschaubarer Wirrwarr.

Der am Donnerstag aufgedeckte Umweltskandal beruht auf Deals mit Hunderttausenden von Tonnen ölhaltiger Abfälle. Die Entsorgerfirmen kassieren von den Erzeugern der Abfälle bis zu 800 Mark pro Tonne für Abtransport und sachgemäße Beseitigung. Die giftigen Schlämme wurden etwa mit Öl vermischt und in Altöl umdeklariert. Altöl wiederum gilt als Brennstoff, der sogar noch etwa 80 Mark pro Tonne kostet – doppelter Gewinn für die Betrüger.

Altöl darf, sofern mit weniger als 20 ppm (ppm sind Giftteilchen pro eine Million Ölteilchen) verschmutzt, in Verbrennungsanlagen verwendet werden. Damit auch verseuchtes Öl lodern und Geld bringen kann, braucht es korrupte Müllverbrenner. Sie drücken, gegen Bestechungsgeld, bei der Prüfung des Altöls ein Auge zu. Statt eine Probe (im Fachjargon Rückstellprobe) aus dem Tank des angelieferten – angeblich sauberen – Öls zu nehmen, verwenden sie Mutterns Speiseöl oder andere einwandfreien Öle.

Um konkrete Bilanzen schneller ziehen zu können, wird nun die moderne Technik bemüht. Ein Computerprogramm namens „Abfall und Reststoff-System“ (ARSYS) soll alle Belege bundesweit erfassen. Vom Erzeuger über den Transport bis zur endgültigen Lagerung oder Verbrennung erhält jede Menge eine Nummer. Der langwierige Formularkreislauf durch die Ämter soll überschaubarer werden.

Die Landesumweltämter hatten gerade angefangen, ARSYS im täglichen Betrieb zu nutzen, da machte ihnen Bundesumweltministerin Merkel mit dem Kreislaufwirtschaftsgesetz einen Strich durch die Rechnung: Mit dem neuen Gesetz und seinen Ausführungsverordnungen wird auf dem Abfallsektor alles etwas anders als vorher, das Computerprogramm muß erst wieder angepaßt werden. Christian Füller, Reiner Metzger