: Kinderstürme, Logorrhöe, Musikfurze
■ Auf Hamburgs Bühnen: „Sturminsel“ im Fundus, „Freak Out“ im Tivoli und ein John-Cage-Abend auf Kampnagel
Sturminsel
Zwei große rollende Kästen auf der Bühne, weißlich-durchsichtig verhängt. In jedem liegt ein Kind im Bett. „Schlaf' ein, mein Kind, gib nach“, beschwören die Luftgeister den Jungen Prospero, der trotzig und rotzig nicht einschlafen will. Im Fundus-Theater zeigt Sibylle Peters das Stück Sturminsel, frei nach Shakespeare.
Schön, schaurig und sensibel wird die emotionale Nähe der beiden Kinder gezeigt, deren nahe Beziehung durch die Erfahrung der Übertragung phantastischer Vorstellungen entsteht. Prospero und Miranda, ähnlich an Möglichkeiten und Chancen, gleich spielerisch-erfinderisch, gleich stürmisch und intensiv. Geschlechtsunterschiede gibt es zwar nominell, gespielt werden sie aber von zwei Frauen, Vera Schürmann und Sibylle Peters selbst, die sich als Schöpferinnen eine Gedankenwelt voll gruseliger Monster, sprechender Puppen und Schiffen mit Bettzeugsegeln aufbauen.
Doch diese erfundene Welt funktioniert nur so lange, wie eine die andere gedanklich mitträgt, sendet und empfängt. Fällt eine aus, steht die andere in gröbster Verlassenheit auf der Bühne, die Trennungen sind das Schlimmste. Die Phantasieausgeburt der beiden macht sich selbständig, das Spiel kippt um, erst Prospero, dann Miranda fallen aus ihren Betten.
Wie kommt man nun wieder heil zurück zum kontrollierten Spielbeginn? Das Spiel mit Nähe und Distanz, der bewußt vollzogene Bruch mit der Einswerdung beider Kopfwelten, birgt die Gewißheit: Wir sind eigentlich zwei Personen, nicht eine. Diese bittere, aber notwendige Erkenntnis des Erwachsenwerdens setzt erst Prospero durch Verschwinden oder Gruseliges-total-echt-Vorspielen durch. Aber auch Miranda faßt sich selbst, auch sie kann böse und grauslich Distanz schaffen, die Puppe Sultan befehlen lassen: „Das Spiel ist aus!“ oder mit einem Eingestehen ihrer Ängste Prospero zum Einlenken bringen. Sind das Machtspiele? Oder Beziehungs-Erforschungen? Sich einlassen und sich abgrenzen sind kein Gegensatz.
Kerstin Kellermann
Fundus-Theater, wieder am 23. und 24. November, 15 Uhr
Freak Out
Der Herzenswunsch des Regisseurs Steve Ray, dieses Stück zum Broadway zu exportieren, wird wohl einer bleiben. Die Komik läßt zu wünschen übrig, eine Handlung fehlt komplett. Die mannigfaltigen Bemühungen, schon vor Spielbeginn Heiterkeit auszulösen, verlieren sich im Trubel der Platzsuche. Glücklicherweise endet der klischeehaft plattgewalzte Versuch von Freak Out, ein „Irrenhaus“ zu persiflieren, bald nach der Begrüßung „Liebe Psychologinnen und Psychologen“(!). Dann konzentriert sich alles auf Musik, Licht und Choreographie, und es wird unterhaltsam.
Die fünf Charaktere, die, angeregt durch Musik aus den 70ern, aus ihrem „posttraumatischen Schock“ erwachen, erringen durch die Überzeichnung den einen oder anderen Lacher. Mit ihrer durchweg sympathischen Ausstrahlung und schönen Stimmen können die Darsteller das Publikum mitreißen.
Wären nur nicht die Anfälle von Logorrhöe, die den im „Tivoli Hospital“ anwesenden Therapeuten die Diagnose vereinfachen sollen. Was die Figuren da aus ihrem Leben vor der Geistesstarre erzählen, ist weit, weit hergeholt und simpel um die Lieder herumgestrickt. Ein junger schwarzer Schwuler (singt mit Vorliebe Queen-Songs) zieht sich in den Autismus zurück, weil ein Hündchen ihm sein Galakleid für die Miß-Wahl bepinkelt. Einen anderen schockte das Erlebnis, daß seine Eltern beim Kartenkauf für ein Elton-John-Konzert zertrampelt wurden. Die betroffene Waise darf dann eben den tragischen Part übernehmen, singt „Sailing“.
Dank kräftigen Sounds vom Band, für den die Mikro-Qualität des Halbplayback zu schwach ausfällt, und der phantasievollen Lichtstimmungen von Hilton Jones stimmt das Umfeld für das, was an dieser Musical-Revue überzeugt: Tanz und Gesang. Die schmissige Choreographie (Randy Scott) erreicht trotz einiger Wiederholungen eine im Tivoli bisher ungesehene Perfektion.
Die Stimmung war am Ende durchaus als brodelnd zu bezeichnen. Es bleibt abzuwarten, wie ein Publikum reagiert, das nicht zum Großteil aus Freunden der Produktionscrew besteht. Ilka Fröse
Musicircus
Das Cello stinkt. Mit zugehaltener Nase singt die Solo-Altistin sich über die unziemlichen Ausdünstungen ihres Begleitinstruments in tonreiche Rage. Wütend knackende Klangnome steigen aus ihrer Kehle und werden bald von hysterischen Koloraturen flottiert. Die Luftröhre scheppert besorgniserregend, und am Ende kötert, schluchzt und pfeift Guyette Del Gorge, die Sängerin des belgischen Ensembles Camp d'Action, auf dem letzten Loch.
Ein Mann tritt auf, pupst vernehmlich, er dreht sich um, verwedelt mit laut vertontem Brausen die Duftmarke auf der Bühne, setzt sich knarrzend eine Sonnenbrille auf und verletzt sich an einem im Wüstensand stehenden Kaktus.
Rhythmisches Zeitungspapierknittern, melodiöses Wasserplätschern und quietschende Plastiktierchen – John Cages kompositorische Veredlung alltäglicher Geräusche als hübsch inszenierte Nummernrevue, die vor lauter Stolz über die eigenen Attraktionen der vollbrachten Tonakrobatik stets noch eine Weile andächtig hinterlauscht. Mit kindgerechten Klanghäppchen in bunten Kulissen führt der niederländische Ton-Artist Peter Zegveld sein Publikum, Menschen ab 6 Jahren, durch einen akustischen Mikrokosmos, in dem jedes Kleinstgeräusch zum voluminösen Spektakel schwillt.
Doch neben Clownerien, wie dem Auftritt des Trommlers, der in Anbetracht seines eigenen Zahnbelags sich fürsorglich der Mundpflege seiner lächelnden Trommel mit zwei Zahnbürsten annimmt, und unaufdringlich didaktischen Klangexpeditionen wartet das Ensemble auch mit schlichten Szenen auf, die Cages Musik ohne jede Zusatzpointe für sich stehen lassen. Da diktiert eine Buschtrommel einem Sekretär eine klopfende Botschaft in die Schreibmaschine, und die Sängerin nimmt das Getippte als Partitur für ein Solo.
Ein Potpourri aus Klang und Information, das sich im babylonischen Handy-Gesprächs-Gewirr zum Schlußbild formiert.
Brigit Glombitza
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