Kein Platz für die Schmuddelkinder

Am Donnerstag fällt die Entscheidung über die Arena im Volkspark: Die Stadt fördert den Werbeträger HSV und duldet den FC St. Pauli  ■ Von Clemens Gerlach und Rainer Schäfer

An die vielen Überstunden hat Reinhard Kock sich gewöhnt. „Die Leute wollen wissen, wann es endlich losgeht“, mag sich der Hamburger Architekt nicht mehr darüber aufregen, daß er kaum noch etwas anderes sieht als seinen Zeichentisch. „Es ist keine einfache Aufgabe“, muß der ehemalige St.-Pauli-Profi häufig feststellen, der für den Umbau des Millerntor-Stadions verantwortlich ist. Es erleichtert die Sache nicht, daß sein Bürochef auch Bauherr ist: Heinz Papa Weisener, Präsident und millionenschwerer Mäzen des „etwas anderen Bundesligavereins“.

Wie bei vielen Proficlubs genügt die heimische Spielstätte nicht mehr heutigen Anforderungen: keine großzügigen Gastronomiebetriebe, die Medien finden kaum Platz. „Jeden Tag, den der Ausbau auf sich warten läßt, verlieren wir gutes Geld“, drängt Götz Weisener, Geschäftsführer der St.-Pauli-Marketing GmbH. Mit dem maroden Wilhelm-Koch-Stadion sei das wirtschaftliche Überleben in der Bundesliga unmöglich, sagt der Präsidentensohn. Das über 30 Jahre alte, vereinseigene Stadion – mit fast 21 000 Plätzen – verschlingt jährlich 1,8 Millionen Mark an Instandsetzung: 40 Prozent der Zuschauereinnahmen.

Statt auf Trümmerflair und Ruinenromantik der geliebten Bruchbude baut der FC nun auf Modernisierung: Sukzessive soll um 10 000 Sitzplätze aufgestockt werden. Am Ende sollen alle Plätze überdacht sein, auch die 15 000 Stehränge, deren Anzahl nicht reduziert wird – wie es die Fans durchgesetzt haben. Der Ausbau der eigenen Heimstätte gerät zum Eiertanz. „Wir brauchen mehr Sitzplätze“, sagt Kock, „und VIP-Lounges“, ergänzt Weisener jr. Die werden euphemistisch „Kabinen“ genannt, weil für viele Anhänger schon „Marketing“ ein Schimpfwort ist. „Die Kabinengäste sponsern durch höheres Eintrittsgeld die preiswerten Stehplätze“, wirbt Kock um Verständnis bei der empfindsamen Klientel, „der Verein hat für die vielen Wenigverdiener im Stadtteil eine soziale Verantwortung.“

Die Wunschlösung sei das 50-Millionen-Projekt nicht, räumt Architekt Kock ein, „unsere Ideen sind dafür witzig“. Zu lachen hat der Oberplaner dennoch nichts. Seit der UEFA-Cup-Teilnehmer HSV in intimer Zusammenarbeit mit der Stadt am Volkspark ein modernes Stadion für 45 000 Zuschauer plant, ist der FC St. Pauli weiter in die Defensive geraten. „Die Arena setzt Maßstäbe“, seufzt Kock.

Vor allem um die nicht-sportlichen Veranstaltungen muß der Kiezverein fürchten, jene Events, die die dringend benötigten Zusatz-Einnahmen bringen sollen. Das neue, nicht mehr stadteigene Volksparkstadion wird die erste Adresse sein. Bis zu zwölf sportfremde Veranstaltungen darf der FC St. Pauli durchführen. Doch nicht irgendwelche: „Sie sollen zum Verein und unserem Umfeld passen“, fällt Kock Boxen und Wrestling ein, „wir müssen uns einnischen.“

Die Not soll kreativ machen. Man baut auf die Anziehungskraft der nur einen weiten Einwurf entfernten Reeperbahn und auf das besondere Erlebnis-Ambiente eines reinen Fußballstadions mitten in der Stadt. Die zentrale Lage ist nur scheinbar ein Vorteil gegenüber dem derzeit noch abgelegenen Volksparkstadion: Der Standort am Heiligengeistfeld läßt ein wirkliches Wachstum nicht zu. Zusätzliche Flächen für den FC St. Pauli gibt es dort nicht. „Da ist der Dom vor“, hat auch HSV-Vizepräsident Volker Lange nicht ohne Freude festgestellt. Es gibt kaum eine Institution in Hamburg, die so unantastbar ist wie der heißgeliebte Rummelplatz, der Amüsierspektakel und Wirtschaftsfaktor zugleich ist.

Auf die Stadtväter ist der FC ohnehin nicht gut zu sprechen. „Der HSV wird gefördert, St. Pauli geliebt“, sagt Kock, der „keinen Streit“ mit der Stadt will. Ein frommer Wunsch, der Konflikt ist längst da: Während auf höchster landespolitischer Ebene diskutiert wird, ob am Volkspark später eine bessere Autobahnabfahrt und eine neue Bahnstation gebaut werden, muß sich der FC mit den Lokalfürsten auseinandersetzen, wie ein paar brüchige Pappeln neben dem Klubheim zu ersetzen sind. Oder wer die Hinweistafeln aufstellt, die den Weg zum Millerntor weisen. Die fehlen bislang.

Kein Wunder, daß sich der Gang durch die Genehmigungsinstanzen zu einem Marathon entwickelte. Seit beinahe zwei Jahrzehnten wird geplant, der Baubeginn regelmäßig angekündigt und doch wieder verworfen. Dieses Mal soll es klappen, selbst bei einem möglichen Abstieg. Ende des Jahres will das Präsidium die Finanzierungspläne präsentieren – angeblicher Baubeginn: kommender Sommer, Fertigstellung zur Saison 1999/2000.

Mit Kleinkram muß sich der HSV nicht plagen. Seit Uwe Seeler vor einem Jahr zur obersten Rothose aufgeschwungen wurde, verfügt der HSV wieder über eine positive Aura, die den Renommierverein für die Prominenz aus Wirtschaft und Politik interessant werden läßt.

Der HSV hat beste Kontakte – ein Verdienst des neuen Vizes, Volker Lange. Der ehemalige Bau-, Wirtschafts- und Innensenator hat aus dem sozialdemokratischen Politfilz der Hansestadt ein schmuckes Beziehungsgeflecht gewirkt. Geschickt läßt der kungelrundengestählte Unternehmensberater seine Beziehungen zu Parteifreunden spielen. „Sehr wichtig“ sei es, sich persönlich zu kennen. So konnten schon im Vorfeld der Ausschreibung für die neue Arena „intensive Gespräche“ mit Entscheidungsträgern wie der Stadtentwicklungsbehörde geführt werden. „Wir haben auf unsere Notwendigkeiten hingewiesen“, sagt Lange und fordert „so schnell wie möglich eine komfortable Arena“.

Die wird im Stellinger Volkspark entstehen, wo der HSV derzeit seine Heimspiele austrägt. Es ist so gut wie sicher, daß nach den Entwürfen des von den Firmen Deuteron und Holzmann geführten Konsortiums gebaut wird. Die beiden anderen Anbieter – Richter & Partner bzw. eine Firmengruppe um die Sportagentur Rüdiger Schmitz – gelten als chancenlos.

Am kommenden Donnerstag wird sich die Senatskommission für das eine halbe Milliarde Mark teure „Deuteron/Holzmann“-Modell entscheiden. Ab Ende 1997 soll mit dem Neubau einer Mehrzweckhalle für 15 000 Zuschauer begonnen werden, drei Jahren später soll die Arena eingeweiht werden.

Das Volksparkstadion wird, während der Spielbetrieb weiter- läuft, vollständig renoviert und später über 45 000 Sitzplätze verfügen, um den UEFA- und FIFA-Richtlinien zu genügen. „Gut vermarktbare Business-Seats und VIP-Lounges“, wie sich Lange wünscht, sollen solventeren Hanseaten den angeblich exklusiven Fußballgenuß schmackhaft machen, Fernsehstudios die TV-Gelder sichern. Ein großzügiger Hotelkomplex mit exklusiver Ladenzeile wird entstehen, dabei ein Uwe-Seeler-Museum.

Ein unternehmerisches Risiko trägt der Lieblingsklub der Senatoren nicht. Mit der Ausschreibung und der Suche nach Finanziers hatte der HSV keine Scherereien, diese Arbeit hat die Stadt in Zusammenarbeit mit der Landesbank übernommen. „Der HSV wird weder Bauherr noch Betreiber sein, aber der Nutznießer“, kann St. Paulis Kock seinen Frust nur mühsam verbergen.

Für Hamburg ist der wiedererstarkte HSV der weitaus geeignetere Werbeträger als der FC St. Pauli. Hier der Traditionsverein mit einer großen Vergangenheit, der die gesamte Elbmetropole repräsentieren soll; dort der Klub vom Kiez in einem der ärmsten, aber auch schillerndsten Viertel. Gerne brüsten sich die Stadtväter mit Hafenkitsch und dem verklemmt-anrüchigen Charme der Amüsiermeile Reeperbahn. Doch beim Geld hört die Liebe auf.

Für den HSV bedeutet die Aufwertung des Standortes Volkspark nicht nur einen enormen Imagegewinn. Durch die Mehreinnahmen aus Fußballspielen und kommerziellen Veranstaltungen wird die Position des HSV als Nummer eins im Hamburger Fußball zementiert – auf Dauer. „Wir haben die Führungsrolle übernommen und wollen sie auch festigen“, gibt sich Lange staatstragend und stichelt weiter gegen den Weisener-Club, den er nicht als „gleichberechtigten Partner“ sieht: „Beim Stadion sind wir im Vorteil.“

Angesichts der guten Perspektiven wird der HSV übermütig. St. Pauli könne ja darüber nachdenken, künftig das Volksparkstadion intensiver zu nutzen. Beim HSV unter die heimelige Decke kuscheln? „Wir würden uns ins eigene Fleisch schneiden, wenn wir dauernd ins Volksparkstadion gingen“, kennt Kock die Identifikationsprobleme vieler Fans, die schon jetzt Klage darüber führen, daß in dieser Saison gleich vier Heimspiele in die Betonschüssel verlegt wurden. Für die Anhänger ist der Stadtteil eine auf ewig HSV-verseuchte Gegend. „Dort sind höhere Einnahmen möglich“, rechnet Betriebswirt Götz Weisener dagegen. Es müsse etwas passieren, „sonst geht das Ding in die Hose“.