Schau mir in die Augen, kleine Rindfleischsuppe Von Ralf Sotscheck

Das Timing war hundsmiserabel. Gerade hatten britische Wisenschaftler hinausposaunt, daß sich Menschenhirne in löchrige Schwämme verwandeln können, wenn ihre Besitzer Rinderwahnfleisch verzehren, da fand am selben Abend in London das „Festival of British Beef“ statt. Kantinenköche, Großküchenchefs und Rindfleischlieferanten kamen vorige Woche im Queen Elizabeth Conference Centre zusammen, um sich dortselbst gegenseitig Mut zu machen.

Weil auch die Presse dabei war, schob man sich die Steaks demonstrativ und unter vollmundigen Entzückensschreien in den Rachen. Bei diesen Leuten kann BSE-Fleisch freilich nichts mehr anrichten – sie haben ohnehin ein Ding an der Glocke.

Anekdoten wurden auch erzählt: Kevin Taylor, Stellvertreter des staatlichen Veterinär-Münchhausens Keith Meldrum, berichtete, daß seine Frau in Restaurants gerne Aufsehen errege, indem sie ausländisches Rindfleisch in die Küche zurückgehen lasse. Woran die patriotische Esserin wohl die fremde Ware auf dem Teller erkennt? Umgekehrt ist es einfacher: Ein Bekannter kam neulich aus Manchester zurück und berichtete, daß ihn die Rindfleischnudelsuppe im Flughafenrestaurant mit wahnsinnigen Fettaugen angestarrt habe. Da nahm er lieber Lamm mit Pfefferminzsauce, eine andere verwegene Besonderheit der britischen Küche.

In London gab es zum Abschluß der Rindfleischfete dagegen eine Blindverkostung von Rindfleisch aus sechs Ländern. Jetzt raten Sie mal, welches Land gewonnen hat. Genau! Eine Umfrage hat vor einer Woche übrigens ergeben, daß die Briten ihre Eßgewohnheiten selber merkwürdig finden und immer stärker zur ethnischen Küche tendieren – zum Beispiel zu indischen Restaurants.

Während die Rindfleischbarone in London tote Kühe aßen, wurde in Coventry der Nationale Curry- Koch des Jahres gewählt. Seit das erste indische Restaurant 1911 in London öffnete, ist Curry fast zu einem Nationalgericht des Roastbeef-Volkes geworden. Heute gibt es mehr als 8.000 indische Restaurants in Großbritannien, und viele Pubs servieren mittags neben den genauso traditionellen wie ekelhaften Fleischpasteten und den elastischen Sandwiches auch Currygerichte mit Reis – aber ohne Rindfleisch, denn die Tiere sind in Indien heilig.

Deshalb bleibt den Indern eine weitere englische Spezialität erspart: Kartoffelchips mit Rindfleischgeschmack. Vor vier Jahren wollte die EU verschiedenen Chipssorten an den Kragen, doch die britische Regierung kämpfte um die kulturellen Errungenschaften der Nation und setzte Ausnahmegenehmigungen durch. Die Hersteller müssen lediglich alle Zutaten auflisten, weshalb man seitdem größere Tüten benutzen muß. Die Chance ist jedenfalls auf längere Sicht vertan: Über Nacht hätte die britische Regierung die schlimmsten Exzesse des englischen Geschmacks in den Mülleimer der Geschichte verbannen und die Sache obendrein auf die EU schieben können.

Statt dessen muß die Insel nun für immer mit ihren kulinarischen Alpträumen wie britischer Schokolade, Krabbencocktailchips, giftgrünen Matscherbsen und rosa Würstchen leben. Dann schon lieber ein Wahnsinnssteak.