Natural Born Chillas

■ Elaboriert bis in die letzte Stimmritze: Absolute Beginner aus Hamburg sind in ihren reifen Zwanzigern angelangt

„Mit uns die Regierung stürzen“ hieß das niedlich-vergebliche Motto, das den letzten Berliner Auftritt von Absolute Beginner begleitete – ein spätes Aufflackern des Geistes kapitalismuskritischer Beginner-Titel wie „Großdeutsche Haarfrisur 2000“. Ansonsten war es seit 1993 etwas still geworden um jene Teile des deutschen HipHop, die sich als „Hardcore“ oder „Underground“ verstanden und im Geiste der Straße gegen die Verpoppung der Dreieinigkeit von Rap, Breakdance und Graffiti anwetterten. Man fragte sich, was die aufrechten Jungs aus Hamburg so trieben, zumal erinnerlich war, daß man als aufmerksamer Spex-Leser sich seinerzeit auch über einen von ihnen angezettelten kleinen, aber bezeichnenden Streit erfreuen durfte. Die Beginner beschimpften in zwei Leserbriefen den damaligen HipHop-Fachmann des Spex, Oliver von Felbert, als einen Sesselpuper, der niemals auch nur eine Spraydose in der Hand gehalten oder einen Reim-Battle mitgemacht hätte. Wiewohl die Rapper damals zielgerecht am Selbstverständnis des Spex kratzten und die beleidigt-hochmütige Antwort der Kölner nicht ausblieb, war man über Einfalt, Verbissenheit und Vehemenz der Beginner-Invektiven schon etwas erstaunt. Mit den Jahren milde gestimmt, nennt einer der Rapper der Band, der 20jährige J. Eißfeldt, dies im Rückblick „unsere Sturm-und-Drang- Zeit“. Hinsichtlich des nun erschienenen ersten Absolute-Beginner-Albums „Flashnizm (Stylopath)“ heißt das für ihn, Reife und hinzugewonnene Weisheit zu demonstrieren. Explizit „politisch“ verstehbare Äußerungen bezeichnet er mittlerweile als „unfunky“: „Wenn die Musik interessant verpackt ist, man dazu tanzen oder einfach die Augen schließen kann, wenn man auf die Musik flasht, dann ist das okay. Und wenn da einer singt, das System ist Scheiße und die Sparmaßnahmen auch, dann ist mir das eine Idee zu plakativ und proklamatorisch. So was wie ,Freiheit befreien, denn alle sind in Haft‘ würde ich heute nicht mehr machen können. Uns wurde die ganze Szenerie zu eng und verkrampft.“

Das Album ist Ausdruck dieses gewandelten Bewußtseins: „Flashnizm“ ist ein feister, opulenter, funkiger Monolith geworden, der Musikalität, Produktion und Lyrics als gleichberechtigte Säulen von HipHop nebeneinander stehenläßt. Schon „Burna“, der Eingangstrack, sprengt mit einem extrafetten Baß die Boxen aus den Verschalungen – ein Beat, „der hier kommt und prompt alles zerbombt“, wie es analog in den Lyrics heißt.

Matthias Arfmann (von Kastrierte Philosophen), Hamburger Großproduzent, hat die Feinabstimmung in Studio besorgt und das Album mit den Beginnern eingespielt. Perfekt ausproduziert, ertönen da hübsch angedubbte Instrumentals, ein sogenannter Bossa-Baß, Gitarren, Moog-Synthesizer und allerlei andere gut klingende Gimmicks.

Die Verpackung stimmt also. Der Inhalt aber auch. Elaboriert bis in die letzten Stimmritzen fallen die Reime der Beginner über-, auf- und ineinander, hintergründig und doppeldeutig rappt man um die Wette. Was dann eher an die Reflexivität und den Zitatismus von Bands wie Blumfeld erinnert, als daß es dem ach so originären Street-Erleben eines deutschen Sprayers und Breakdancers verpflichtet ist. Ihr Fett bekommen hier alle weg, ob Trendjournalisten, Gattungsbestimmer, HipHop-Faschos oder Mitläufer, doch festnageln lassen sich die Beginner nicht mehr so leicht wie früher. Fallstricke sind zuhauf eingebaut: „HipHop muß am Leben bleiben“, heißt der Titel eines Tracks ironisch-selbstbezüglich, und das liebste wie auch problematischste Kind deutscher Männer, die Frage nach dem Pinkeln im Stehen (und die dabei problematisierte Reinlichkeit), wird launisch from outta space per instrumentellem Zwischenspiel abgehandelt.

„Natural Born Chillas“ wiederum heißt ein anderer, in der Tat sehr entspannt kommender Track, der durch die Hintertür die Frage aufwirft: Musik und Herumhängen oder Geld und Karriere? Diese beantwortet man am Ende in Richtung der Karrieristen mit der Zeile: „Doch irgendwann merken sie dann / daß man zusamm' mit Geld nicht chillen kann.“ Wie wahr!

Der Style ist es, der „geil ist“: Die „verbale Faust“, die hier durch die Strophen saust. An anderer Stelle kann man den Prozeß noch besser einfangen: „Musik beginnt da, wo Grenzen enden, Kunst ist mein Himmel, und ich fliege frei, und ich fliege hoch, fliege noch und bleib' dabei.“

Mit „Flashnizm (Stylopath)“ haben die Beginner ein Album veröffentlicht, das HipHop in Deutschland auch und vor allem als (musikalische und reimtechnische) Kunstform etabliert, das die Reflexion gesellschaftlicher Verhältnisse auf abstraktere Ebenen zu heben versteht. Verstaubten Diskussionen um den wahren HipHop in Deutschland entziehen sich die Absoluten Beginner offensichtlich und elegant. Über Pop und Underground muß man keine Worte mehr verlieren, insbesondere, wenn sich abzeichnet – da benötigt man leider wenig seherische Qualitäten –, daß die Beginner mit keinem ihrer Songs die Charts breaken werden. Was schade ist. Seine erste Berührung mit HipHop hatte Eißfeldt übrigens mit LL Cools J's „I need love“ und dem Werk von Public Enemy – nicht aus einer bewußt gewollten Differenz den Mitschülern gegenüber, sondern „weil ihn die Musik, der Rap als solches, wirklich umgeworfen hat“. Ob Popstar oder nicht, HipHop bedeutet für Eißfeldt vor allem eines: „Ich spring' aus meiner Anonymität heraus, zeige, wer ich bin, und zeige meine Styles.“ Und da ist er dann doch noch lieber ein Bengel als ein Elder statesman. Gerrit Bartels

„Flashnizm (Stylopath)“

(Buback Tonträger/Indigo)