■ Interview mit Joschka Fischer, Leiter einer Delegation von Bündnis 90/Die Grünen nach Bosnien-Herzegowina
: „Ifor-Truppen müssen noch bleiben“

taz: Herr Fischer, Sie sind fast eine Woche durch Bosnien-Herzegowina gereist. Was haben Sie dabei an Erkenntnissen gewonnen?

Joschka Fischer: Uns wurde vor Augen geführt, welch unglaubliches Verderben der Nationalismus über die Völker der Region gebracht hat. Mir persönlich ist deutlicher als je zuvor geworden, daß die Mehrheit der bosnischen Muslime in diesem Krieg dem Versuch eines Genozids gerade noch entkommen sind. Gelernt habe ich, daß es zu einem multiethnischen Bosnien-Herzegowina keine Alternative gibt. Und daß die internationalen Truppen noch einige Zeit in Bosnien bleiben müssen.

Welche Botschaften bringen Sie für die politische Praxis mit?

Die Entscheidung der Bundesinnenministerkonferenz, die bosnischen Flüchtlinge sofort zurückzuschicken, ist absurd falsch, inhuman und hat katastrophale politische Konsequenzen. Wir haben von allen Diplomaten, Militärs und allen Gesprächspartnern der bosnischen Seiten eine eindeutige Botschaft erhalten. Es gibt in Bosnien-Herzegowina niemanden, der die Entscheidung, die Flüchtlinge jetzt zurückzuschicken, für richtig befindet.

Die Zwangsrepatriierung bedeutet den Konflikt in Bosnien- Herzegowina wieder anzuheizen. Das darf aber nicht sein. Es gibt also gewichtige politische Gründe, in der Flüchtlingsfrage unsererseits noch offensiver zu werden.

Weiterhin sind wir uns einig, uns verstärkt für den Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen stark zu machen. Wir müssen uns engagieren, um die zivilen und die nicht nationalistischen demokratischen Kräfte in allen Bevölkerungsgruppen zu stärken, wir werden bezüglich der Unterstützung freier Medien und der Unterstützung von Menschenrechts- wie Bürgerbewegungen sowie der nicht nationalistisch ausgerichteten demokratischen Parteien in Bosnien-Herzegowina noch aktiver werden müssen. In dieser Richtung könnte ich mir die Zusammenarbeit der Stiftungen der demokratischen Parteien in Deutschland vorstellen.

Außerdem habe ich in Bosnien- Herzegowina nicht eine Stimme gehört, die meinte, in absehbarer Zukunft auf Ifor verzichten zu können. Ohne Ifor hätte es keinen Waffenstillstand, keine freien Wahlen, auch nicht das Minimum an Bewegungsfreiheit gegeben, das jetzt zu sehen ist. Die multiethnische demokratische Zivilgesellschaft hätte in Bosnien keine Chance. Zu einem militärischen und zivilen Engagement der internationalen Staatengemeinschaft gibt es keine Alternative. Zur Kenntnis genommen habe ich zudem, daß die deutsche Beteiligung an der militärischen Sicherung des Friedens und am zivilen Aufbau erwünscht und notwendig ist.

Sie befürworten jetzt also auch die Beteiligung deutscher Truppen an der Friedenssicherung?

Ja.

Wie wollen Sie in dieser Frage Ihre Parteimitglieder und Anhänger überzeugen, die mehrheitlich ein internationales militärisches Engagement abgelehnt haben?

Wir haben eine vorurteilslose Beurteilung der Lage in Bosnien und Herzegowina vorgenomen, das können wir für diese Delegation beanspruchen. Auf dieser Grundlage werden wir die Diskussion zu führen haben. Es gibt immer Mehrheiten und Minderheiten in einer Partei. Warten wir einmal ab, was die Diskussion bringt.

Jürgen Trittin hat dieser Tage erklärt, er möchte keine dümmliche Debatte, so drückte er sich aus, über das Verhältnis von Partei zum Bosnienkrieg initiiert sehen. Was sagen Sie dazu?

Ich habe dem nichts zu entgegnen und nichts zu kommentieren.

Ich konnte dieser Tage beobachten, wie Sie mehrmals sichtlich bewegt waren. Vor allem, als Sie oberhalb Sarajevos standen und auf die Stadt blickten und als Sie mit dem Bürgermeister von Srebrenica sprachen. Was haben Sie in diesen Situationen gedacht?

Ich habe Über drei Jahre lang aus Überzeugung die nichtinterventionistische Position vertreten. Oberhalb der Stadt stehend und von einer Position auf die Stadt blickend, von der auf sie geschossen wurde, hatte ich ein paar Probleme mit mir selbst abzumachen. Ich habe einen schweren Fehler gemacht. Es war ein Fehler, nicht früher auf militärisches Eingreifen der internationalen Seite gesetzt zu haben, so wie es Daniel Cohn-Bendit oder Marieluise Beck und andere in unserer Partei von Anfang an getan haben. Wahrscheinlich hätte man schon angesichts von Vukovar und Dubrovnik militärisch eingreifen müssen, und vieles, was später geschehen ist, wäre nicht geschehen. Sicher bin ich bei Srebrenica, der Massenmord dort war verhinderbar.

Weiterhin hat die Aussage eines Bürgers von Lukavac starken Eindruck auf mich gemacht. Der Mann ist Sozialdemokrat, Muslim mit einer Slowenin verheiratet und konnte sich vor dem Krieg niemals vorstellen, was dann passiert ist. Daß er, der über 20 Jahre in Deutschland gearbeitet hat, im nachhinein zu dem Schluß kommt, daß Europa sich an der Vernichtung der Muslime Bosniens beteiligte, weil es stillgehalten hat, muß uns sehr selbstkritisch machen. Wie auch der katholische Bischof von Banja Luka hat er nachdrücklich darauf hingewiesen, daß wir dem Wüten eines neuen Faschismus tatenlos entgegen gesehen haben. Diesen Zusammenhang muß die deutsche Linke begreifen, auch die pazifistische. Wer nicht handeln will, handelt dennoch bei einem Genozidversuch.

Die offizielle deutsche Politik vor Ort scheint diesen Zusammenhang begriffen zu haben. Michael Steiner, als Stellvertreter Carl Bildts verantwortlich für die zivile Implementierung des Dayton-Abkommens, sowie die deutsche Botschaft wollen auch eine demokratische Option in Bosnien-Herzegowina stützen. Wie ist die offizelle deutsche Politik in Sarajevo zu bewerten?

Von den ersten Eindrücken und vielen Gesprächen her ist zu bestätigen, daß die Rolle der deutschen Diplomaten in Sarajevo durchweg positiv beurteilt wird. Aber angesichts der katastrophal falschen Entscheidung Deutschlands mit der Zwangsrückführung der Flüchtlinge ist unser Land drauf und dran, den positiven Ruf der deutschen Diplomatie nachhaltig zu verspielen. Die Entscheidung der Innenministerkonferenz ist rein innenpolitisch und ideolgoisch motiviert und damit gegenüber den Flüchtlingen nicht zu verantworten. Sie gefährdet zudem das, was bisher positiv in bezug auf den Friedensprozeß erreicht worden ist, und muß deshalb revidiert werden. Die Flüchtlinge müssen in Deutschland bleiben dürfen, bis in Bosnien die Rückkehrmöglichkeiten geschaffen sind. Interview: Erich Rathfelder