Saubere Dorfstraßen sind wichtiger als Ideologien

■ Konferenz von PDS-Bürgermeistern. Gysi: Parteitagsbeschlüsse sind nicht alles

Berlin (taz) – Lief hier der falsche Film? Ungläubig lauschten die Kollegen der blonden Dame auf der 4. PDS-BürgermeisterInnen-Konferenz am Samstag im Berliner Abgeordnetenhaus. Als hätte sie Theo Waigel mit Propagandaauftrag „Lob des Aufschwung Ost in den Kommunen“ hierher geschickt, spulte es aus Margit Werner heraus: Ihr Erzgebirgsdorf Culitzsch (820 Einwohner) hätte keine Schulden, jedoch eine Totalversorgung mit Telefonanschlüssen und immer noch eine Kita. Für die seien zwar die Gebühren gestiegen, aber die Bürger hätten das wie selbstverständlich hingenommen. Auch die gefürchtete Kostenumlage für Straßenbau auf die Anwohner sei in Culitzsch ausgeblieben. Sie hätte einfach beizeiten „etwas Geld angehäuft“ und das eiserne Motto verkündet: „Nur das ausgeben, was wir wirklich haben!“ Ihre Kommune werde geführt wie ein privates Unternehmen. Investoren für einen Wohnpark ohne Bankbürgschaft wies man halt ab, was richtig war, denn die betrefffende Firma ging tatsächlich pleite. Selbst die Kids seien durch den Bau einer Motorcrossstrecke in Culitzsch von der Straße geholt worden.

Soviel Erfolg machte selbst die eigenen Parteifreunde skeptisch, sie forderten mehr Opposition. Freilich die Genossen im Kreisvorstand, nicht die in Culitzsch, da gibt's nämlich keine weiteren. Die 1994 gewählte Bürgermeisterin ist das einzige PDS-Mitglied im Ort! Vor der Wende saß sie für die SED im Gemeinderat. Die Dörfler erkennen an, meinte Margit Werner, daß sie zu ihrer Vergangenheit stehe und fachlich etwas drauf habe. Zu zeigen, daß nicht alle Ossis und Ex-SEDler dämlich sind, sei Grund genug, der PDS die Treue zu halten.

Margit Werner interessiert es nicht, daß es in ihrer Partei etliche gibt, denen die Reinheit der Lehre wichtiger ist als die Sauberkeit von Dorfstraßen. PDSler, die wenig Bürgernähe kennen, aber viele schlaue Sprüche zur Fundamentalopposition, hält sie für Traumtänzer.

Auf der Konferenz, zu der die Hälfte der 184 (ostdeutschen) PDS-BürgermeisterInnen erschienen waren, erhielt die erfolgreiche „Rote“ viel Lob vom Chef der Bundestags-PDS Gregor Gysi. Er warnte – mit Blick auf die kommende Parteistrategiekonferenz – vor „Bestrebungen nach ideologischer Reinheit und einer Abwendung von wirklichen Problemen“. Die Balance müßte eingehalten werden. Die BürgermeisterInnen dürften nicht aus ihrer Verantwortung als PDS-Mitglied entlassen werden, aber umgekehrt auch nicht auf die rigide Erfüllung von Parteitagsbeschlüssen festgenagelt werden. Das käme einem „Rückfall in alte Strukturen“ gleich, ängstigte sich Gysi. Wie oft man in den Zwiespalt zwischen PDS-Programmatik und dienstlichem Handeln gerate, beteuerte auch eine brandenburgische Amtsdirektorin. Sie beschwichtigte sich dann nach der Devise: „Wenn ich das Schlimme nicht tue, macht's ein anderer, womöglich noch schlimmer.“ Auch die rund 6.000 kommunalen Mandatsträger der PDS werden inzwischen oft mehr von den alltäglichen Problemen der Kommunen bedrängt als von den politischen Gegnern.

Während sich die BürgermeisterInnen anschließend den Frust wegen zunehmender Gestaltungsunfähigkeit von der Seele redeten, appellierte Gysi, die große Politik nicht im kleinen außer acht zu lassen. Zum Beispiel die Privatisierung von kommunalem Eigentum nicht zu befördern. Da der erfahrene Hungerstreiker viel für spektakuläre Widerstandsformen übrig hat, wünschte sich Gysi auch mehr rebellischen Geist von „unseren“ BürgermeisterInnen. Konflikte nach oben dürften sie nicht scheuen. Vielleicht dachte er dabei ja auch an die eigene Partei, wo die Genossen von der Basis helfen könnten, den realitätsfernen PDS- Ideologen bald eine Abfuhr zu erteilen. Gunnar Leue