Rückkehr der starken Männer

Mit Hamburgs Hochschulen zurück in die Zukunft: Eine modisch verbrämte Ordinarienuniversität soll echte Reformen ersetzen  ■ Von Florian Marten

ie Ärmel sind aufgekrempelt: Wissenschaftssenator Leonhard Hajen (SPD) überarbeitet das Hamburger Hochschulgesetz, Bundeszukunftsminister Jürgen Rüttgers (CDU) hat ein neues Hochschulrahmengesetz in die Bonner Umlaufbahn geschossen, und der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) adelte 1996 gar zum Jahr „entscheidender Weichenstellungen“ für die Reform der Hochschulen. Am Donnerstag schließlich tagt in Hamburg auf Einladung der Hochschule für Wirtschaft und Politik (HWP) die Créme der deutschsprachigen Reformavantgarde zur „Strategiebildung an Hochschulen“.

Nach Jahrzehnten des Stillstands ist die Hochschullandschaft plötzlich in Bewegung. Ins Jammern über Sparzwänge mischen sich immer häufiger konkrete Reformvorschläge. Während der DIHT Studiengebühren einklagt und fordert, Wirtschaft und Universitäten sollten sich künftig ihre Studenten selbst aussuchen, träumen StudierendenvertreterInnen von einer ganz anderen Wende. Die 1985 erneut zementierte Macht der Professoren soll endlich gebrochen und die Uni eine moderne, an studentischer Lebensrealität und gesellschaftlichen und karrierefördernden Bedürfnissen ausgerichtete Dienstleistungseinrichtung werden.

Als 1968 die Barrikaden vor dem Springer-Hochhaus brannten, schienen die Tage der alten Hamburger Ordinarienuniversität gezählt. Eine demokratische Hochschule mit Bildung für alle und Forschung, die sich um die Lösung gesellschaftlicher Probleme müht, schien absehbar. Und mit Willy Brandts Bildungspolitik öffneten sich tatsächlich die Türen der Hochschulen. Eine Reformwelle setzte ein. Das Ergebnis ist heute zu besichtigen. Ein barrikadenfreies Hamburg prunkt mit einem von der SPD eingeweihten Axel-Cäsar-Springer-Platz. Die Hochschulen glänzen mit einer Lehre aus Frontalberieselung und Referatvergabe, mit desinteressiertem Lehrpersonal und Studierenden, die ihr Studium oft nur als Null-Budget-Nebenjob begreifen. Die Krise bestreitet heute keiner mehr.

Die in der deutschen Standortdebatte gestählte Polit-Elite weiß natürlich längst Rat: Von „schlanker Universität“, „Profilbildung“, „Schwerpunktsetzung“ und „lean management“ ist die Rede. Die Hochschulen selbst, ganz ergriffen vom visionären Refomgeist, sinnieren brav über ihren „Output“, gemessen in „Leistungskennziffern“. Ein oft absurdes und im Ergebnis ziemlich aussichtsloses Geschäft: Die Qualität von Forschung, Lehre und regionalen Impulsen fängt ein Raster von Studiendauer, Veröffentlichungsquotient oder Kosten je Abschluß nicht ein.

Die Professorenuniversität, geprägt durch die Macht müder habilitierter Männer, wird durch derlei modischen Firlefanz nicht aus ihrem Trott gerissen. Im Gegenteil – sie wittert Morgenluft. Schließlich verlagert die Reformattacke der öffentlichen Hand, die nun den Hochschulen das Sparen per Globalem Budget selbst überläßt, tatsächlich Entscheidungskompe-tenz etwas nach unten. In Hajens Novelle zum Hamburger Hochschulgesetz wird nicht nur der Begriff „Dekan“ wieder eingeführt, er ist auch so gemeint: Fachbereichsleiter als echte Abteilungsleiter, mit Gewalt über Personal- und Sachmittel. Gemeinsam mit den neuen starken Unipräsidenten erhalten die Hochschulen damit eine echte Macho-Struktur. Kontrolliert werden die neuen Chefs auch in Zukunft nur durch professoral dominierte Männergremien. Die Tristesse der Gruppen-Uni der frühen 70er dürfte sich rückblickend vielen schon bald zum demokratischen Idyll verklären.

Qualifikation? Pustekuchen: Habilitation oder Promotion reichen aus – Leistungsnachweise also, die nichts über soziale Kompetenz, Organisationstalent, ökonomischen Durchblick und Kreativität aussagen. Die Krise der Hochschulen wird – typisch männlich – verengt auf das Fehlen einer starken Hand, die Sinnkrise und fehlende Effizienz hinfortreißt. Dabei ist die Krise der Hochschulen von den professoralen Machos, die sie jetzt lösen sollen, entscheidend mitverursacht: Die Hochschulen sind von Motoren und Initiatoren gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse zu schwerfälligen Waggons am Ende des Zugs geworden.

Hamburgs Hochschulen fehlen nicht die Macker, sondern die Orientierung: Sie müßten sich grundlegend erneuern, ihren Sinn für sich und die Gesellschaft wieder entdecken. Ein erster Schritt wäre es, daß die Hochschulen endlich die StudentInnen als ihr wichtigstes Potential begreifen. Eine radikale Hochschulreform ergäbe sich dann von selbst: Die antiquierte Professorenuni käme auf den Müll der Wissenschaftsgeschichte. Die heute noch in Lehrkörper, Verwaltungspersonal und Studierende dreigeteilte Uni müßte zu einer Einheit finden. Selbstverwaltung, bislang ein Euphemismus für professoralen Feudalismus, könnte dann erstmals mit Inhalt gefüllt werden.

Und die konkreten Reformschritte? Keine von oben aufgesetzten Effizienzpostulate, Marketing-Ideen und Männer, sondern ein offener und demokratischer Hochschulentwicklungsprozeß, in den von Beginn an Gesellschaft und Studierende eingebunden sind. Diese Hochschulreform, die sich weit eher auf 1968 und Willy Brandt als auf die platte Produktdenke moderner Hochschul-Consulter beziehen könnte, braucht keine Gesetzesnovelle als Anschub. Jede Hamburger Hochschule könnte einen solchen Weg aus eigener Kraft beschreiten.